Als uns der Bus in der Mitte der kleinen Ortschaft im Shunan Zhuhai National Park ausspuckt, sind wir ratlos. Dieses Dorf ist bei keiner unserer insgesamt drei Karten-Apps vermerkt. Sowieso ist die gesamte Gegend ziemlich leer auf unseren Karten, die hauptsächlich eine große, grüne Region zeigen. Es ist auch kein Weg zu unserem vorab gebuchten Hotel eingezeichnet. Trotzdem frohen Mutes schultern wir unser Gepäck und folgen dem Weg in Richtung des in der Buchung abgegebenen Hotelstandorts. Es hat etwas von Geocaching und einer modernen Schnitzeljagd, sich mit rudimentären Informationen den Weg zum Ziel zu suchen.
Doch an der Stelle, an der unser Hotel sein sollte, ist es nicht. Dort steht nämlich überhaupt kein Haus. Also drehen wir um und laufen wieder zurück. Mit dem Namen des Hotels auf dem Handydisplay sprechen wir einen Ladenbesitzer an. Er zeigt mit der Hand in eine andere Richtung. Sicherheitshalber fragen wir ein paar Menschen, doch alle weisen uns den gleichen Weg. Dann sollte es ja stimmen.
Zehn Minuten später, das Dorf liegt inzwischen hinter uns, folgen wir dem scharfen Abzweig nach rechts und verlassen die sich weiter stetig bergauf windende Straße. Ein Hotel taucht vor uns auf, doch als wir an der Rezeption unser Handy mit der Buchungsbestätigung zeigen, schauen wir in ratlose Gesichter.
Booking.com? Scheinbar noch nie gehört. „Wo kann man die Buchungsbestätigung denn nochmal auf Chinesisch anzeigen lassen?“, murmelt Sebastian vor sich hin. „Can I help you?“, fragt uns plötzlich eine Stimme von rechts. „Yes! Thank you!“ Glück gehabt! Der Mann ist selbst nur Gast, doch spricht zum Glück etwas Englisch. Doch auch mit seiner Hilfe weiß niemand etwas von unserer Reservierung und die regulären Zimmerpreise sind ein vielfaches höher als der von uns gebuchte Raum. Für Rückfragen ist in unserer Buchungsbestätigung eine Telefonnummer angegeben und diese bringt endlich den Durchbruch. Dem Chef sagt booking.com zum Glück doch etwas und nach einem kurzen Wortwechsel auf Chinesisch zwischen der Mitarbeiterin in der Lobby und ihrem Chef werden wir in ein riesiges, dunkles und klammes Zimmer geführt.
Früher einmal muss es schön ausgesehen haben, mit einem richtigen Eingangsbereich, einem Wohnzimmer und einem halb abgetrennten Schlafbereich. Heute sieht das Zimmer eher verwahrlost aus und die dunkel angelaufenen Stellen an der Decke unterstützen den positiven Charme auch nicht. Doch für heute sind wir froh, überhaupt endlich ein Zimmer bekommen zu haben, gehen im Dorf Abendessen (natürlich gibt es Bambus!), springen unter die Dusche und fallen bald schon ins steinharte Bett.
Am kommenden Morgen scheint die Sonne. Heute wollen wir durch das Bambusmeer spazieren! Doch schon bald wird klar, wir sind nicht die einzigen, die diese gute Idee hatten. Für uns sind Wochen- und Feiertage schon seit langem unwichtig und so fällt unser Besuch im Bambusmeer zufällig auf Samstag und Sonntag. Dummerweise ist es genau das lange Wochenende über den 1. Mai und der ist hier, genauso wie in Deutschland, frei.
Mangels Kartengrundlage und Sprachbarriere mit unseren Mitmenschen finden wir die angepriesenen Wanderwege nicht und beschließen, zur Seilbahn zu laufen und mit einer Gondel 20 Minuten über den Wald und tiefer hinein in den Park zu fahren. Auf dem Weg bekommt der Satz „Es wird voll werden“ nochmal eine ganz neue Bedeutung. Eine Kolonne von Autos schiebt sich über die kleine Straße, es geht nur zentimeterweise voran. Eine nette Familie hatte uns vom Dorf aus in ihrem Auto mitgenommen, doch bald schon steigen wir aus und gehen zu Fuß weiter. So kommen wir schneller voran.
Bei der Gondelstation ist mächtig was los, doch wir stellen uns an. Kann ja nicht so lange dauern. Ein Irrtum… Nach etwa einer Stunde Warten und geschickter Besucherlenkung biegen wir um eine Ecke, hinter der wir die vorbeifahrenden Gondeln gewähnt hatten. Doch Pustekuchen! Weitere Schlangenlinien Wartender stehen dort und für diese zweite Etappe des Anstehens brauchen wir weitere 1 ½ Stunden. Doch da wir nun schon seit so langer Zeit hier im Gedränge stehen, wollen wir jetzt nicht aufgeben.
Nach 2 ½ Stunden stehen wir endlich vor unserer Gondel. Die Fahrt über den Bambuswald ist tatsächlich toll und die Stille lässt den Lärm im Gedränge der Wartenden vergessen. Es gibt hier angeblich mehr als 30 Arten von Bambus. Für uns ist es ein Meer aus verschiedenen Grüntönen, über das wir geräuschlos hinwegschweben.
Angekommen am anderen Ende der Seilbahn stehen wir im gleichen Getümmel wie vorher. Wir sind wagemutig und verlassen die auf dem Hauptweg wandernden Massen und biegen auf einen kleinen Pfad ab. Der Weg ist nur kurz, doch endlich können wir mal alleine durch den Bambuswald laufen. Es scheint nicht vorgesehen zu sein, den Wald auf kleinen Pfaden erkunden zu können, denn alle schönen Seitenwege, die wir entdecken, führen nach wenigen Minuten auf einen anderen Hauptweg. Doch finden wir hier trotzdem ein paar schöne Ecken, die wir fast für uns alleine haben.
Nach einigen Stunden im Bambuswald, spektakulären Ausblicken von den Hängen und ein paar netten Gesprächen mit englischsprechenden chinesischen Urlaubern machen wir uns auf den Heimweg. Auch auf unserer Karte ist der kleine See eingezeichnet, der nun vor uns auftaucht, doch keine Wege, wie wir ihn umrunden könnten. Doch auch in Echt sehen wir keine Wege und Pfade, die um den See herumführen. Dafür ist der See voll mit Flößen, die von gut gelaunten Urlaubern gesteuert werden.
Die Floßfahrer haben uns natürlich sofort entdeckt, die zwei Ausländer, die da auf einmal am Ufer stehen. Nett wird uns zugewunken und wir winken zurück. „Lass uns doch versuchen, ans andere Ufer mitzufahren“, schlage ich Sebastian vor. Er nickt und wir versuchen, per Zeichensprache ein Floß ans Ufer zu lotsen. Ein junges Paar hat uns verstanden und rudert sich ans Ufer heran, wir springen auf. Die Leute auf den anderen Flößen lachen und winken uns zu.
Wir nehmen Platz auf einem kleinen Hocker und da wir uns nicht nur faul kutschieren lassen wollen, greifen auch wir zum Paddel. Guter Stimmung setzen sich die vielen Flöße mit uns gemeinsam in Richtung anderes Ufer in Bewegung. Da dröhnt ein chinesischer Befehl lautsprecherverstärkt durch die nette Stimmung. Alle halten kurz inne, dann blicken sie zu uns herüber. Die Ansage muss wohl Sebastian und mir gegolten haben, doch wir verstehen nichts. Unsere beiden Floßfahrer lassen sich oberflächlich nicht aus der Ruhe bringen, er winkt locker ab, doch sie wirkt mehr ganz so entspannt.
Wieder sagt der Aufseher mit seinem Megaphon am anderen Ufer irgendwas. Männer der anderen Flöße rufen etwas zurück. Einen Anhalter mitzunehmen ist wohl nicht erlaubt. Doch winken uns die Menschen der anderen Flöße immer noch nett zu. Langsam kommt das andere Ufer näher, der Aufseher hat uns genau im Blick. Angekommen steigen wir vom Floß und bedanken uns herzlich mit xièxiè bei unseren netten Helfern. Wir sind dem Aufseher egal, wir würden ihn sowieso nicht verstehen. Aber unsere lieben Fahrer bekommen eine Standpauke und beenden ihre Floßtour gemeinsam mit uns. „Sorry!“, sage ich zu ihm, doch er winkt ab. „No problem!“, lacht er, winkt uns und sie ziehen von dannen.
Den Heimweg zum Hotel legen wir schneller als erwartet zurück, denn spontan nehmen uns Huang Ping und ihr Freund in ihrem Auto mit. Bis vor die Hoteltüre fahren sie uns, nicht ohne uns davor noch einzuladen, bei ihnen in der nächstgrößeren Stadt zu übernachten. Obwohl die beiden kein Wort Englisch sprechen und sich unsere Mandarinkenntnisse auf danke, Deutschland, Reis und „bitte kein Chili“ beschränken, können wir Dank der App WeChat miteinander kommunizieren.
Während des Abendessens entspinnt sich eine Unterhaltung zwischen Sebastian und mir, wie Handys und Internet das Reisen doch verändert haben. Was heute auf einmal Dank Smartphone machbar ist, dass sich zum Beispiel Menschen ohne ein Wort gemeinsamer Sprache richtig unterhalten können, war früher undenkbar.
Doch was ist durch die Technik alles auf der Strecke geblieben? Überraschungen sind selten geworden, denn von fast jedem Ort kann man sich vorab ein Bild im Internet machen. Auf fremde Hilfe ist man kaum noch angewiesen. Eine der seltenen Ausnahmen ist für uns das Bambusmeer. Es passiert fast nie, dass uns unsere Handys mit ihren Apps im Stich lassen und wenn, dann bislang nur in China. Doch schlimm ist es eigentlich nie. Im Gegenteil kommen wir in solchen Momenten meist mit mehr Menschen ins Gespräch, denn wir müssen uns durchfragen und sind auf ihre Unterstützung angewiesen. Und genau das macht solche Momente spannend und besonders.
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Hi hi, ihr beiden,
wann und wo geht euer Schiff?
Bin schon gespannt auf weitere Reiseerlebnisse 🙂
Viele Grüße aus dem ersten Schnee in Augsburg,
Linda
Hi Linda,
wahnsinn, schon der erste Schnee in Augsburg?!
In unglaublichen drei Wochen schon geht unser Schiff ab Qingdao in China!
Und bis dahin kommt hoffentlich noch der ein oder andere Reisebericht… 😉
Viele liebe Grüße von uns beiden aus dem herbstlichen Südkorea
Leo