Pünktlich um 18 Uhr geht ein Ruck durch unser Schiff. Die starken Taue der zwei Schleppschiffe spannen sich. Langsam ziehen sie unsere Fähre vom Pier weg und drehen sie dabei um 90 Grad. Nun liegt Qingdao und damit China hinter uns. Zum ersten Mal auf dieser Reise verlassen wir ein Land über den Seeweg. Wir sind aufgekratzt.
Schweigend stehen Sebastian und ich nebeneinander an der Reling, dick eingepackt mit all unseren Jacken und wärmenden Klamotten, und schauen zu, wie wir uns immer weiter vom Hafen entfernen. Der Wind ist eisig. Während das Schiff auf das offene Meer hinausfährt, färbt sich der Himmel dunkelorange. Sobald die Sonne untergegangen ist, wird es eiskalt hier draußen. Wir gehen in unsere Kabine. Immer noch kann ich es kaum glauben, dass wir unerwartet eine Viererkabine ganz für uns alleine bekommen haben.
Eine Sonderbehandlung
Um 16 Uhr kommt Bewegung in die wartenden Fahrgäste am Fährterminal Qingdao. Die Ausreise aus China läuft professionell, zügig und problemlos ab. Das Terminal scheint neu zu sein, der Boden ist blank gewienert, die Gänge steril und ich fühle mich wie an einem kleinen Flughafen. Mit dem Unterschied, dass draußen kein Flugzeug auf der Startbahn steht, sondern eine Passagierfähre im Wasser schaukelt, die uns über Nacht nach Südkorea bringen soll. Typisch China dürfen wir die zehn Meter vom Hafengebäude zum Schiff nicht zu Fuß zurücklegen, sondern werden mit dem Bus gefahren und müssen in dem stickigen Gefährt eine Viertelstunde warten, bis endlich die Türen geöffnet werden. Mit einer Rolltreppe fahren wir in den ersten Stock des Schiffs und werden von zwei uniformierten Angestellten mit einer Handbewegung an die Rezeption geschickt. Von allen anderen Fahrgästen wird nur das Ticket überprüft, danach suchen sie scheinbar eigenständig ihre Kabine.
Hektisch schaut der junge Rezeptionist unter den Augen seines Vorgesetzten alle vorhandenen Kabinenschlüssel durch, doch findet einfach nicht den, der zu unserem Namen passt. Kein Wunder, denn es gibt auch keinen. Wir haben die günstigste Kategorie gebucht – auf dieser Fähre heißt das, dass wir die erste Nacht der Reise getrennt voneinander verbringen werden. Sebastian in der Achtermännerkabine, ich in der Achterfrauenkabine. Ohne einen Schlüssel ausgehändigt zu bekommen, wird uns schließlich der Weg zu unseren Kabinen erklärt. Diese sind absolut ausreichend für eine Nacht, die Betten sehen frisch bezogen und komfortabel aus und für zusätzliche Privatsphäre kann man vor dem Bett sogar ein Vorhang zuziehen. Wir stellen unsere Rucksäcke ab und gehen an Deck.
Die zwei Stunden bis zum Ablegen verbringen wir draußen und beobachten das Treiben am Pier. Plötzlich hören wir ein Räuspern hinter uns. Als wir uns umdrehen, blicken wir in das leicht vorwurfsvolle Gesicht eines uniformierten älteren Herrn, den wir vorhin schon an der Rezeption gesehen hatten: „We put a call out for you!“ Er zeigt auf die Lautsprecher des Schiffs. „Please follow me!“. Er dreht sich um und geht. Sebastian und ich schauen uns überrascht an. Keiner von uns hat gehört, dass wir ausgerufen wurden. Herr Yun, wie wir auf seinem Namensschild lesen können, führt uns durch die Gänge des Schiffs. Schließlich bleibt er vor einer Türe stehen und öffnete sie. „You can use this cabin tonight.“ Er drückt uns den Schlüssel in die Hand und verabschiedet sich in Richtung Rezeption.
Überrascht betreten wir die Viererkabine. Neben zwei Stockbetten gibt es ein Waschbecken, eine Garderobe und am Fenster ein Sofa mit kleinem Tisch und Fernseher. Wir haben gerade ein Upgrade bekommen! Damit wird unsere erste Nacht in getrennten Räumen also doch auf die Zukunft verschoben.
Obwohl wir uns über die private Viererkabine freuen, fragen wir uns, warum gerade wir dieses Upgrade bekommen haben. Bestimmt hätten sich viele Passagiere über bessere Schlafbedingungen gefreut, doch wer kommt in den Genuss? Die zwei europäischen Rucksackreisenden, die sich eine bessere Reiseklasse leisten könnten, wenn sie es denn wollten. Warum hat Herr Yun genau uns zwei ausrufen lassen und nicht jemand anderen? Weil wir blaue Augen haben und nicht wie alle anderen Fahrgäste asiatisch aussehen?
Wir genießen den Abend in unserer eigenen Kabine. Endlich mal wieder ein Raum nur für uns. Nach den vergangenen Tagen bei Sunny und Terry in Qingdao und davor dem Couchsurfing in Shanghai ist es entspannend, auf niemanden achten und sich mit niemandem unterhalten zu müssen. Der Kontakt zu Menschen vor Ort ist uns wichtig und immer etwas Besonderes, aber es ist auch fordernd und anstrengend, im stetigen Austausch mit unseren Gastgebern zu sein. Jetzt in unserer Kabine essen wir den mitgebrachten Proviant, schauen ein sehr beruhigendes koreanisches Golfturnier im Fernsehen und genießen den ruhigen Abend.
Auf dem Weg nach Incheon
Am nächsten Morgen trifft mich beim Blick auf unsere Offlinekarte fast der Schlag. Unser Ziel Incheon ist nur noch 50 Kilometer von uns entfernt, dabei sollten wir eigentlich noch drei Stunden unterwegs sein. Werden wir früher ankommen? Hastig springen wir aus dem Bett, ziehen uns an, packen und nehmen unser Frühstück mit aufs Deck. Was wir nicht bedacht haben: Zwischen China und Südkorea gibt es eine Stunde Zeitunterschied. Unsere Handys zeigen uns 7 Uhr morgens an, nach koreanischer Zeit ist es aber bereits 8 Uhr. Zusätzlich müssen wir erst durch eine Schleuse fahren, um in den Hafen Incheons zu gelangen und das dauert. Pünktlich um 10 Uhr koreanischer Zeit kommen wir an.
Es ist vormittags und wir haben es nicht eilig. Also beschließen wir, uns nicht zu hetzen und als eine der Letzten von Bord zu gehen. Doch Herr Yun hat andere Pläne. Es klopft an der Türe. „Are you ready?“, schaut er uns an und wir fragen uns erneut, ob wir uns in der Zeit geirrt habe. Herr Yun schnappt sich meinen Tagesrucksack und läuft vor uns her Richtung Ausgang. Als wir in den zentralen Saal kommen, stehen viele andere Passagiere bereits wartend mit ihrem Gepäck bereit. Herr Yun reicht mir meinen Tagesrucksack und schüttelt uns die Hand. Mit zwei Damen, die die teure Royal Class gebucht haben, verlassen wir als erste Passagiere das Schiff. Noch so eine Sonderbehandlung, nach der wir nicht gefragt haben.
Von BBQ und Karaoke
Die Einreise nach Südkorea verläuft unspektakulär, schnell schon ziert ein neuer Stempel unseren Reisepass. 90 Tage lang dürfen wir uns hier ohne ein Visum aufhalten. Mit der Metro fahren wir in die 35 Kilometer entfernte Hauptstadt Seoul. Im Vergleich zu Qingdao wirkt Incheon leer. Wo sind all die Menschen an diesem Samstagvormittag? Die Metrostation ist überraschend alt. Wo in China überall Rolltreppen gewesen wären, müssen wir in Incheon selbst unser Gepäck viele Stufen hoch- und runtertragen.
Als wir 90 Minuten später in Seoul ankommen, sind wir nicht mehr alleine. Hier, im Gegensatz zu der Hafenstadt Incheon, sind die Straßen gut gefüllt. Für uns nicht lesbare Werbeschilder blinken bunt ihre Botschaften in Richtung der potenziellen Kunden.
Auf dem engen Gehweg folgen wir der Straße zu unserem Hostel und drücken uns an Essensständen, Handyverkäufern, Obsthändlern vorbei. Fünf Tage werden wir in Südkoreas Hauptstadt bleiben mit der klaren Mission, hier unser viertes und letztes Visum für China zu beantragen, um für die Abfahrt des Containerschiffs in einem Monat wieder einreisen zu können.
Das Dream Inn Seoul Hostel wird unsere Basis für die kommenden Tage. Im beengten Zimmer ist gerade so Platz für uns und unsere zwei Rucksäcke, aber das Hostel verfügt über eine Gemeinschaftsküche und obwohl es morgens kalt ist, können wir auf der Dachterrasse inmitten der Nachbarhochhäuser frühstücken. Wieder zeigt sich uns in diesem Hostel der Gegensatz von Urlaubern zu Reisenden: Während sich letztere in der Regel über einen Austausch freuen und es leicht ist, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, sind viele Urlauber eher auf sich selbst konzentriert und scheinen sich nicht zu trauen, Fremde anzusprechen. Und auch wenn ich den ersten Schritt gehe, habe ich doch immer wieder das Gefühl, die Urlauber fragen sich insgeheim, was ich eigentlich von ihnen will und warum ich sie angesprochen habe.
Thomas, der koreanische Besitzer des Hostels, ist zum Glück auch der Ansicht, dass etwas Austausch unter den Gästen nicht schaden kann. Rauch erhebt sich über dem Grill, auf dem bereits fünf dicke und von Fett durchzogene Stücke Schweinefleisch brutzeln. Korean Barbecue liegt voll im Trend und es gibt spezialisierte Restaurants, bei denen die Grills im Tisch eingelassen sind und kupferfarbene Abzugshauben den Rauch absaugen.
Neben uns sitzen Myeong-zhi und ihre Mutter, die aus Korea stammen, aber in Spanien leben, und vier japanische Touristinnen. Nachdem das BBQ verputzt ist, gehen wir gemeinsam zurück ins Hostel. Thomas führt uns in einen Raum, der uns bislang noch gar nicht aufgefallen war. Ein großer Fernseher hängt an der Wand und mit ein paar Handgriffen wird der Raum nur noch schummrig beleuchtet und eine Diskokugel beginnt langsam, sich an der Decke zu drehen.
Sebastian und ich können nicht einschätzen, was nun passieren wird. Doch Myeong-zhi übernimmt die Führung und schon dröhnt Musik aus den Boxen, während auf dem Fernseher ein Musikvideo samt Liedtext erscheint. Unser erster Karaoke-Abend wird überraschend lustig. Sowohl Sebastian als auch ich sind es nicht gewohnt, einfach so für andere Menschen zu singen, aber da es für die anderen so normal ist, wird es für uns leichter. Im Duett schmettern wir Wind of Change und Lemontree und klatschen den anderen bei koreanischen und japanischen Klassikern zu, die wir noch nie gehört haben. Es ist unglaublich, wie sich die stillen Japanerinnen und auch Myeong-zhi beim Karaoke verändern und eine Show aufführen, die uns wahrlich verblüfft. Im Halbdunkeln des Karaoke-Raums lebt man scheinbar seine Emotionen aus.
Die fünf Tage in Seoul vergehen rasch und von den touristische Highlights sehen wir nur wenige. Aber wir werden am Ende unseres Monats ja nochmal in Koreas Hauptstadt sein. Vor allem verbringen wir die Tage mit der Beantragung unseres vierten chinesischen Visums und obwohl wir mittlerweile eine gewisse Routine darin haben, benötigt das Zusammenstellen des Reiseplans, die Buchung von (kostenlos stornierbaren) Übernachtungsnachweisen und die Organisation aller weiteren verlangten Dokumente doch seine Zeit. Freitagvormittag, kurz bevor wir Seoul für unsere Reise durchs Land verlassen, können wir unsere Reisepässe mit dem neuen Visum abholen. Es hat alles geklappt, damit steht unserer Pazifiküberquerung mit dem Containerschiff nun nichts mehr im Wege.
Knappe drei Wochen bleiben uns, durch Südkorea zu reisen. Die letzten Tage haben wir hin und her überlegt, mit anderen Reisenden gesprochen und im Internet recherchiert. Schließlich haben wir uns, auch aufgrund der wahnsinnig hohen Kosten für eigentlich alles – Unterkünfte, Verpflegung, Transport –, dafür entschieden, das Land mit einem Mietwagen zu erkunden. Mit „nur“ 27 Euro am Tag ist der quasi ein Schnäppchen und wir haben zusätzlich endlich wieder die Gelegenheit, problemlos überallhin fahren zu können, in der Natur zu stoppen und unabhängig von Bus- und Zugfahrplänen das Land zu erkunden.
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Hallo Ihr Beiden,
ich habe eine Frage, bei der Ihr mir vielleicht helfen könnt.
Transporte die Fähre von China nach Südkorea auch Motorräder?
Vielen Dank und liebe Grüße,
Hannes
Hallo Hannes,
da wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln gereist sind, wissen wir das leider nicht.
Beste Grüße
Sebastian