9 Tage in Tibet – Leuchtendes Lhasa

Der Potala-Palast erhebt sich auf einer Anhöhe von den Bergen Tibets.

Nach fünf Tagen auf dem Friendship-Highway kommen wir und unsere obligatorische Reisegruppe in Lhasa an und packen zum ersten Mal seit Beginn dieser Tour unsere Rucksäcke aus. Hier sind wir endlich länger als nur eine Nacht am gleichen Ort. Doch wir halten es nicht lange im Hotel aus, wir wollen die Stadt erkunden. Von außen betrachtet ist Lhasa tatsächlich sehr chinesisch. Vorhin noch fuhren wir vorbei an Hochhäusern, an riesigen Betonklötzen. Die Straßen sind hier, wie im ganzen Land, bestens. Durch die Vororte von Lhasa ziehen sich vierspurige Schnellstraßen, alle mit hübschen Laternen und bepflanzten Mittelstreifen bestückt. Doch von unserem Hotel aus, welches am Rande der Innenstadt liegt, sind wir in zehn Minuten in ein anderes Lhasa gelaufen.

Menschen pilgern auf dem Barkhor in der Altstadt Lhasas in Tibet.
Der Barkhor ist ein etwa 800 Meter langer Weg, der mitten in der Altstadt Lhasas rund um den Jokhang-Tempel führt

Pilgern auf dem Barkhor

Ein regelrechter Pilgerstrom wandert im Uhrzeigersinn um den Jokhang-Tempel herum, das bedeutendste Heiligtum innerhalb Lhasas. Wir sind auf den Barkhor gestoßen, den etwa 800 Meter langen Gebetsweg rund um den Jokhang und die angrenzenden Tempel. Von den vor sich hinschreitenden Tibetern motiviert, laufen wir mit. Runde für Runde. Alte Damen mit zwei langen, auf den Rücken fallenden Zöpfen kreisen kontinuierlich ihre Gebetsmühlen. Alte Herren halten eine Gebetskette, die Mala, in der Hand und lassen Perle für Perle durch ihre Finger gleiten. Wir sehen eine Gruppe junger Tibeter, die sich Plastiksäcke übergezogen und ihre Hände und Knie mit Schonern geschützt haben. Sie laufen nicht nur um den Jokhang-Tempel herum, sie beten mit vollem Körpereinsatz. Dabei gehen sie auf die Knie, legen sich auf den Bauch, schieben die Hände weit nach vorne, falten sie einmal kurz zum Gebet und stehen wieder auf, laufen zwei Schritte und beginnen von vorne. Langsam bewegen sie sich auf dem Pilgerweg voran und die anderen Menschen machen ihnen bereitwillig Platz.

So friedlich es hier unten auf der Straße aussieht, so bedrückend ist für mich der Blick nach oben. Unter Zeltplanen, wahrscheinlich um vor der starken Sonne geschützt zu sein, sitzen Soldaten mit Gewehren auf den Dächern und haben den Barkhor stets im Blick. Um das Gebiet rund um den Jokhang-Tempel zu betreten, müssen alle Besucher, auch wir, durch eine Sicherheitsschleuse gehen. Taschen werden kontrolliert und sowohl Tibeter wie auch Chinesen müssen ihren Personalausweis einlesen lassen. Alle Zugänge zu dem großen Platz werden überwacht, Kameras sind allgegenwärtig.

Die Menschen lächeln uns nett an, doch wirklich ins Gespräch kommen wir mit niemandem. Zu groß ist auch unsere Unsicherheit, denn wir wollen niemandem schaden. Unser tibetischer Guide Nima erzählte uns auf unserer Anreise nach Lhasa, dass lokale Busse und Autos keine Ausländer mitnehmen dürfen. Auch uns in unserem gekennzeichneten Touristenbus ist es nicht gestattet, Einheimischen eine Mitfahrt anzubieten. Zudem ist es verboten, dass wir als Ausländer Tibeter zu Hause besuchen. Es ist nicht gewollt, dass ein Austausch stattfindet. Ein Guide ist hier im Regelfall weniger ein Unterstützer und Begleiter, als mehr ein Aufpasser.

Der Jokhang-Tempel ist das bedeutenste Heiligtum im Zentrum Lhasas in Tibet.
Der Jokhang-Tempel, um den sich der Barkhor windet, ist das bedeutenste Heiligtum in der Altstadt Lhasas
Der Jokhang ist das bedeutenste Heiligtum in der Altstadt Lhasas.
Auch von innen ist der Jokhang beeindruckend. Wenige Wochen vor unserem Besuch bricht im Tempel ein Feuer aus, doch die chinesischen Behörden machen keine Angaben über die konkreten Schäden. Wir selbst können nicht erkennen, was vom Feuer zerstört worden sein könnte.
Eine Gruppe Tibeter sitzt am Rande des Barkhors in Lhasa in Tibet zusammen.
Die Menschen Lhasas nutzen den Barkhor auch als Treffpunkt mit ihren Bekannten und lassen sich von der allgegenwärtigen Polizeipräsenz nicht stören
Zwei alte Tibeterinnen laufen gemeinsam den Barkhor in Lhasa in Tibet.
Runde um Runde laufen die Menschen im Uhrzeigersinn um den Jokhang-Tempel herum
Eine Gruppe junger Tibeter betet auf dem Barkhor mit vollem Körpereinsatz.
Diese Gruppe junger Leute zeigt noch mehr Einsatz auf dem Barkhor und bewegt sich in Niederwerfungen betend rund um den Jokhang

Kulturprogramm in Lhasa

In Lhasa steht für unsere Gruppe Sightseeing auf dem Plan und gemeinsam besuchen wir den Potala-Palast, den mächtigen Wintersitz des Dalai Lama. Wir schauen uns das Innere des Jokhang-Tempels an, statten am nächsten Tag dem Norbulinka, dem Sommerpalast des Dalai Lama, einen Besuch ab und dürfen am Nachmittag der Debattierstunde der Mönche im Sera Kloster beiwohnen. Nur bei dem letzten Programmpunkt sehen wir viele andere, auch ausländische, Touristen. Tatsächlich sind wir überrascht, dass so viele Ausländer hier sind, denn bislang hatten wir kaum welche gesehen und auch die anderen Sehenswürdigkeiten Lhasas haben wir uns eher mit chinesischen als mit ausländischen Touristen geteilt.

Im Norbulinka-Palast wird Nima mitten in seinen Erzählungen auf einmal still und gibt uns zu verstehen, er müsse jetzt das Thema wechseln, denn es würde uns jemand folgen. Ich drehe den Kopf, werden wir beobachtet? Ich sehe niemanden. Doch Elli aus Belgien meint, sie habe zwei Männer gesehen, die mit ihrem Handy auffällig unauffällig Fotos von unserer Gruppe geschossen hätten. Sie dachte jedoch eher an Touristen, die sich nicht trauen würden, nach einem Foto zu fragen, als an Leute, die tatsächlich ausspionieren, worüber Nima mit uns spricht.

Der Potala-Palast des Dalai Lamas erhebt sich über der Blumenwiese in Lhasa in Tibet.
So in etwa hatte ich mir den Potala, den Winterpalast des Dalai Lama, vorgestellt: Ein erhabener, großer Palast, von Wiesen umgeben
Autos stehen vor dem Potala-Palast in Lhasa in Tibet an der Ampel.
Die Realität aber sieht so aus. Längst ist der Potala von einer mehrspurigen Straße umgeben.
Wartende Menschen stehen vor den Toren des Potala-Palasts in Lhasa in Tibet.
Der Potala ist die Touristen-Attraktion in Lhasa schlechthin. Um die Besuchermassen zu strukturieren, wird mit System und Strenge vorgegangen: Jede Gruppe hat ein ganz bestimmtes (knappes) Zeitfenster, in dem sie den Potala besichtigen darf. Wer zu spät rauskommt, muss Strafe zahlen.
Das Haupthaus des Potalas in Lhasa in Tibet.
Der Bau des Potala-Palasts in seiner heutigen Form wurde 1694 abgeschlossen. Als eines der wenigen Kulturdenkmäler Tibets überstand der Potala die chinesische Kulturrevolution relativ unbeschadet, da er der chinesischen Besatzungsarmee als Unterkunft dienen musste.

Der letzte Abend

Abends trifft sich unsere Reisegruppe zum Abschiedsessen in einem netten tibetischen Restaurant. Zum letzten Mal essen wir gemeinsam Momos, die tibetischen gefüllten Teigtaschen, leckere Thukpa, eine tibetische Nudelsuppe, und manche bestellen sich zur Feier des Tages ein Yak-Steak. Morgen werden bis auf Jan und uns alle abreisen.

Wir hatten mal wieder Glück: Da die Agentur verbummelt hat, unser Zugticket rechtzeitig zu kaufen, ist morgen schon alles ausverkauft. So kommen wir unverhofft zu einem weiteren Tag in Lhasa, den wir – da wir uns in der Hauptstadt Tibets befinden – tatsächlich ohne Guide Nima gestalten dürfen.

Nima bittet nach dem Essen um Feedback – wie haben wir ihn als unseren Guide erlebt? Auch das ist wahrscheinlich ein Sonderfall, dass wir so etwas gefragt werden. Als ich an der Reihe bin, wird mir einmal mehr klar, dass diese Reise durch das tibetische Hochland etwas Besonderes war! Und zum größten Teil liegt das an unserem tollen Guide Nima selbst. Ich hatte vorab die Sorge, dass uns ein gelangweilter Chinese durch Tibet begleiten und uns keine Frage wahrheitsgemäß beantworten würde. Das hätte meine Selbstbeherrschung stark auf die Probe gestellt. Nima scheint es eine Mission zu sein, seinen Gästen die tibetische Sicht auf seine Heimat zu vermitteln und er geht dafür hohe Risiken ein. Hoffentlich nicht zu hohe!

Eine Frage brennt mir aber immer noch unter den Nägeln: Ist es denn nun vertretbar, nach Tibet zu reisen und können wir irgendetwas tun, um den Tibetern zu helfen? Der Einzige, der mir das beantworten kann, ist natürlich Nima. „Tell your family and friends what you have seen in Tibet. Tell how beautiful my country is and how friendly people are. Tell how you felt in Tibet, how you liked it, tell what you didn’t like. Show your pictures. Don’t forget us.”

Doch wie können wir erzählen, wie wir Tibet erlebt haben, ohne Nima und unseren Fahrer Tsendup in Gefahr zu bringen? Nach wie vor kann ich nicht klar beantworten, ob das Besuchen Tibets wirklich gut ist. Aber trotzdem bin ich froh, dass wir da waren. Es waren unvergessliche Tage auf dem „Dach der Welt“. Die Luft war selten so sauber, das Blau des Himmels selten so durchdringend, die Sonne selten so erbarmungslos und die Stille selten so drückend wie hier oben im Hochland von Tibet. Die alte Kultur und die freundlichen Menschen haben uns sehr beeindruckt, denn das Leben hier oben ist hart. Das ist es aufgrund der geografischen Lage sowieso, das wurde es aber durch die politische Situation noch mehr. Wie leicht das Leben doch für uns ist, wo wir Dank unseres starken Reisepasses überall hinfahren können, wo wir Dank kostenloser Bildung gute Arbeitsplätze bekommen, wo es möglich ist, in relativ kurzer Zeit eine Summe anzusparen, die ausreicht, um reisen zu gehen. Und wie unfair das Leben doch für Andere ist, die Einladungen ins Ausland haben, diese aber aufgrund der Regierung ihres Landes wahrscheinlich niemals werden annehmen können.

Die Menschen aus Tibet haben Dank des Dalai Lama, der um die Welt reist, um auf die Situation in seiner Heimat aufmerksam zu machen, ein starkes Sprachrohr. In diesem Sinne geht es den Tibetern vielleicht besser als den Menschen in Xinjiang im Westen Chinas, denen als Muslime ein solches Sprachrohr und die Sympathien der Welt aktuell versagt bleiben. Trotzdem wirkt die Situation hier in Tibet im Vergleich zu Xinjiang schon sehr eingespielt. Zu lange leben die Menschen wahrscheinlich schon unter den aufgezwungenen Regeln.

Eine Han-Chinesin lässt sich in Lhasa in der traditionellen tibetischen Kleidung fotografieren.
Diverse Fotostudios in Lhasa verkaufen Shootings, bei denen sich Chinesen in tibetischer Kleidung an Orten in der Altstadt fotografieren lassen können
Eine Tibeterin läuft an einem Fotoshooting vorbei, bei dem sich eine Han-Chinesin in tibetischer Kleidung fotografieren lässt.
Was sich diese vorbeilaufende Tibeterin wohl denkt?
Leo und Bella sitzen zusammen am Tisch in einem Restaurant in Lhasa in Tibet.
Bella, die wir an der Grenze zwischen Nepal und Tibet kennengelernt haben, treffen wir zum gemeinsamen Abendessen
Ein tibetischer Hotpot in Lhasa.
Da lief die Kommunikation wohl schief: Etwas Fleisch wollten wir in unserem Hotpot haben. Wir erkennen kaum anderes. Unsere Mitreisenden haben Dank unsereres Missverständnis ihre helle (Schaden-)Freude…
Viel Fleisch mit Kartoffeln gibt es abends in Lhasa in Tibet zu essen.
…doch auch ihr Abendessen kurz darauf ist nicht weniger fleischlastig. Nun dürfen wir lachen…
Kirschbäume blühen in Lhasa in Tibet.
In Lhasa blühen im April die Kirschblüten
Der Nobulinka in Lhasa in Tibet.
Unsere Sightseeing-Tour führt uns zum Norbulinka, dem Sommerpalast des Dalai Lama
Tibetische Mönche diskutieren im Sera Kloster in Lhasa in Tibet.
Im Anschluss schauen wir im Sera Kloster den diskutierenden Mönchen zu
Tibetische Mönche diskutieren lautstark im Sera Kloster in Lhasa in Tibet.
Voller Einsatz wird diskutiert und zur Bekräftigung des eigenen Arguments laut mit den Händen geklatscht. Fotos mit dem Handy zu machen ist übrigens gestattet.
Sebastian steht für ein Foto vor dem goldenen Stier Lhasas, während ein Chinese auf den Stier springt.
Fotobombing in Lhasa…
Die Praxis eines Zahnarzts in Lhasa in Tibet ist perfekt von der Straße aus einsehbar und bietet keinerlei Privatsphäre.
Etwas wenig Privatsphäre ist beim Besuch dieses Zahnarzts gegeben. Die Praxis ist perfekt von der Straße aus einsehbar.
Der Barkhor leuchtet in der einsetzenden Dunkelheit in Lhasa in Tibet.
Die Dunkelheit legt sich langsam über den Barkhor in der Altstadt Lhasas
Bahnhofsmitarbeiter lassen sich mit Sebastian fotografieren.
Sich einmal wie ein Star fühlen. Am Bahnhof Lhasas ist Sebastian das vergönnt…
Leo und Sebastian stehen mit zwei Bahnhofsmitarbeitern vor ihrem Zug in Lhasa in Tibet.
Wir werden wie zwei VIPs behandelt und zum Zug eskortiert. Oder soll nur sichergestellt werden, dass wir wirklich einsteigen und Tibet verlassen?
Der Potala-Palast erhebt sich auf einer Anhöhe von den Bergen Tibets.
9 Tage in Tibet. Die Zeit ist leider viel zu schnell vergangen, gerne wären wir noch länger an diesem beeindruckenden Ort geblieben!

Wie wir von der nepalesischen Grenze durch das tibetische Hochland gereist sind, lest ihr im ersten Teil des Berichts: „9 Tage in Tibet – Ein Roadtrip durchs tibetische Hochland“

Für die Wahrung ihrer Privatsphäre haben wir die Namen unserer tibetischen Begleiter und Mitreisenden geändert.

 

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