Seit sieben Monaten unterwegs

Leo neben einer uigurischen Frau Baumwolle in den Händen.

Was haben wir gemacht, im Monat September, unserem siebten Reisemonat?

Monat Sieben stellt zu Beginn unsere Geduld sehr auf die Probe. Wir sitzen eine gefühlte Ewigkeit in Almaty in Kasachstan fest, bis uns endlich das Päckchen von zu Hause mit unseren Zweitpässen und den Visa für China erreicht. Mitte September kann die Reise dann endlich weitergehen und nach fast vier Monaten in den „Stans“ (Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan und Kasachstan) reisen wir in China ein! Hier erwarten uns neue Herausforderungen, neue Sprachen, neue Küchen und vieles weitere! Und um genau zu sein: Wir erkunden nicht ganz China, sondern das „Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang“, ganz im Westen Chinas.

Eine chinesische Frau an einem Essensstand auf dem Nachtmarkt von Kaschgar.
Xinjiang ist ein Teil Chinas und dementsprechend wird auch hier der chinesische Nationalfeiertag am 1. Oktober begangen

Welche Momente im September werden uns in guter Erinnerung bleiben?

  • Eigentlich kommen wir nur auf einen kurzen Zwischenstopp von Astana zurück nach Almaty und wollen dort unser Päckchen aus der Heimat in Empfang nehmen. Doch irgendwas scheint schief gegangen zu sein und obwohl ein „DHL Päckchen“ zu uns kommen soll, kommt es nicht mit DHL, sondern mit der ganz normalen (kasachischen) Post.
  • Aufgrund dieser Neuigkeiten werden wir zu Stammgästen bei DHL Almaty sowie der kasachischen Post. Wir kennen unseren DHL-Ansprechpartner Andrej mittlerweile beim Namen – er uns auch – und auch bei der kasachischen Post sind wir nun bekannt. Nach 10 langen Tagen bangen Wartens erhalten wir endlich von Andrej eine WhatsApp-Nachricht: Das Päckchen ist raus aus dem Zoll, wir können es bei der Post abholen! Endlich! Wir bedanken uns mit einer in einem internationalen Supermarkt entdeckten RitterSport-Schokolade bei Andrej für seine Geduld mit uns.
  • Die Zeit des Wartens nutzen wir trotzdem: Zum ersten Mal auf dieser Reise gehen wir ins Kino, ich zum Frisör (Sebastian lässt sich nicht überzeugen 😉 ), kochen in unserem Hostel, in dem wir auch im Garten zelten dürfen, genießen internationale Restaurants (schon mal jemand die georgische Küche probiert? – köstlich!!) und arbeiten natürlich am Blog 🙂
Leo und Sebastian mit zwei Frauen in einem Hostel.
Nach 10 Tagen des Wartens heißt es Abschied nehmen von Almaty und Sabina und Natasha, den beiden guten Seelen unseres Hostels
  • Am 12. September ist es dann soweit – wir verlassen die „Stans“ und brechen auf in das „Land der Mitte“. Die Anreise ist zunächst luxuriös: Als fast einzige Gäste fahren wir entspannt im Liegewagen mit dem Zug Richtung kasachisch-chinesischer Grenze. Mit diversen Taxis geht es etappenweise näher an die Grenzgebäude und schließlich zu Fuß weiter. Im „Niemandsland“ zwischen Kasachstan und China werden wir von einem Reisebus die 15km mitgenommen und vor dem Einreisegebäude wieder rausgelassen. Die Einreise nach China ist das erste sehr unangenehme Erlebnis auf dieser Reise, aber wir haben’s überstanden und nun sind wir drin!
  • China ist – anders. Die Kommunikation ist schwierig, wir sprechen bis auf „hallo“, „danke“, „Baumwolle“, „ohne Chili“ und „Deutschland“ kein chinesisch, die Google-Anwendungen und einige andere funktionieren nicht mehr und erst jetzt merken wir, wie oft wir diese normalerweise verwenden. Das Essen aber ist toll! Eine Riesenauswahl chinesischer und uigurischer Gerichte und in der chinesischen Küche endlich mal viel Vegetarisches! Nur das Frühstück ist nicht so unseres… Wir freuen uns über das Müsli, welches sich in unserem Care-Paket von zu Hause befand! 🙂
  • Ein weiterer essentieller Unterschied von Kasachstan zu China: Während in Almaty auch auf sechsspurigen Straßen, auf denen mit hoher Geschwindigkeit gefahren wurde, am Zebrastreifen wie selbstverständlich gestoppt wurde, hält in China hält niemand! Und zwar auch nicht, wenn es zusätzlich eine Ampel gibt und diese für Fußgänger „grün“ zeigt. Also, immer schön die Augen auf…
Fußgängerüberweg in Almaty in Kasachstan.
Jedes Mal aufs Neue sind wir überrascht, dass an den Zebrastreifen in Almaty und Astana tatsächlich gestoppt wird!
  • Während in Almaty und Astana in öffentlichen Bussen sehr höflich anderen Menschen der Sitzplatz angeboten wird (alten von jungen Menschen, Menschen mit Kindern von allen anderen, Frauen von Männern, usw.), können wir dies in Urumqi, Turpan und Kashgar nicht mehr beobachten.
  • Hier in Xinjiang sprechen so wenige Leute Englisch, dass wir uns sehr freuen, wenn jemand ein bisschen Russisch spricht, denn dann ist plötzlich ein Smalltalk möglich!
  • No Spitting – Nicht spucken! War wir als Vorurteil über China gehört hatten, erleben wir hier täglich: das geräuschvolle Hochziehen und „Ausrotzen“ des Schleimklumpens. Wo kommt der ganze Schleim her? Sind hier alle ständig erkältet? Die Straßen sind trotzdem überraschend sauber – kein Rotz und auch sonst kein Müll liegt herum 🙂
Ein Verbotsschild, das es verbietet, auf den Boden zu spucken.
Welcome to China! In unserem ersten Hostel hängt dieser Zettel an der Wand. Ist an diesem Stereotyp doch was dran?
  • Die enorme Polizeipräsenz schockt uns immer noch. Wir haben uns zwar daran gewöhnt, dass wir kein Hostel, kein Restaurant, keinen Geschäft betreten können, ohne durch einen Metalldetektor zu gehen und unser Gepäck scannen zu lassen. Nicht gewöhnen können wir uns aber an Menschen, die am Arm eine rote Schärpe tragen, mit der sie als „Sicherheitsbeauftragte“ gekennzeichnet sind, an die Ausbildung von Bürgerbrigaden, die mit Holzknüppeln bewaffnet von Polizisten in der richtigen Schlagtechnik unterwiesen werden, an im Gänsemarsch durch die Straßen patrouillierende Polizisten in Kampfmontur und im Schritttempo fahrende gepanzerte Fahrzeuge, die das ganze Viertel mit ihrer Sirene beschallen. So ganz kalt lässt uns das nicht und während Andere wahrnehmen, das „alles ganz sicher hier“ sei, führt die hohe Polizeipräsenz für uns nicht zu einem solchen Gefühl – eher im Gegenteil.
  • Auch die massive Kameraüberwachung ist neu für uns und wir fragen uns, ob sich das ganze Videomaterial tatsächlich jemand anschauen kann?
  • Trotzdem treffen wir täglich tolle, nette, offene Menschen! Teils ohne gemeinsame Sprache sind es Begegnungen, die uns die unangenehme Einreisesituation bald vergessen lassen und die uns zeigen, dass China viel mehr ist als diese paar Polizisten an der Grenze und die hohe Polizeipräsenz in den Städten.
  • In Urumqi lädt uns ein junger Mann spontan zum Abendessen ein – eigentlich hatten wir ihn nach einem Laden gefragt, wo wir eine Sim-Karte kaufen können, doch bei ihm kam an, dass wir Hunger hätten. Da es ihm so wichtig ist, ein passendes Restaurant für uns zu finden, kommen wir natürlich mit und erleben einen lustigen Abend trotz kaum gemeinsamer Sprache.
Sebastian und Leo mit einem Chinesen in einem Restaurant in Urumqi.
Abendessen mit unserem netten neuen Bekannten, dessen Namen wir uns leider einfach nicht merken konnten
  • In Urumqi wollen wir herausfinden, warum in jedem Laden, in jeder Apotheke, in jeder Straße immer das gleiche Lied läuft?! Wir treffen drei Schülerinnen, die ganz im Glück sind, ihre Englischkenntnisse ausprobieren zu können und die uns erklären, das Lied würde für gute Laune bei allen Hörern sorgen und würde deshalb überall gespielt werden. Ein anderer Chinese erklärt uns später, Chinesen würden damit „Kultur“ nach Xinjiang bringen. Ein junger und sehr gut englischsprechender Chinese bezeichnet das Lied im Gegenteil als „Brainwashing“ der Urumqianer. Ladenbesitzer würden gezwungen werden, dieses China verherrlichende Lied rund um die Uhr zu spielen und er kann es einfach nicht mehr hören. Da wir kein Chinesisch verstehen, können wir uns leider kein eigenes Bild machen, wovon das Kind im Lied singt. Wir freuen uns über eine Auflösung, falls jemand von euch Chinesisch versteht:
  • Leise nähern sich die ausschließlich elektrisch betriebenen Motorroller von hinten und erschrecken uns regelmäßig zu Tode.
  • Schon mal jemand versucht, Müsli mit Stäbchen zu essen? Wir haben aufgegeben und uns Löffel gekauft 🙂
  • Wir haben endlich erntereife Baumwolle gefunden, ein großer Wunsch von mir! In der Nähe von Kucha, nördlich der Taklamakan, konnten wir einige Pflückerinnen besuchen und auch selbst ein wenig ausprobieren. Was für eine Sisyphusarbeit, jede einzige Baumwollkapsel von Hand zu pflücken!
Leo steht neben einer uigurischen Frau und hält Baumwolle in den Händen.
Ein großer Wunsch von mir, nachdem wir das erste Mal in Turkmenistan die damals noch kleinen Baumwollpflanzen gesehen haben: Die tatsächliche Baumwolle einmal in der Hand halten! In Xinjiang ging dieser Wunsch in Erfüllung 🙂
  • Hier in Xinjiang können wir zudem Chiliverarbeitung und Seidenherstellung beobachten. Bei jedem Mittagessen freuen wir uns zudem über die absolut frisch gemachten Nudeln, die es in unterschiedlichen leckeren Nudelsuppen oder dem uigurischen Laghman zu essen gibt.
  • Eines Abends kommen wir in der Stadt Yarkant, südlich der Taklamakan-Wüste an, und wollen im Hotel einchecken. An der Rezeption gibt es ein Problem, den Grund dafür verstehen wir jedoch erst nach einiger Zeit: Aktuell hat kein Hotel in Yarkant die Zulassung, Ausländer aufzunehmen! Nachts um 23 Uhr ist das keine schöne Nachricht. Ausnahmsweise erlaubt uns die Polizei, für diese eine Nacht zu bleiben, aber am nächsten Tag müssen wir weiterreisen.
  • Taschenmesser in der chinesischen Bahn mitzunehmen, ist ein absolutes „No-Go“. Doof, wenn man länger unterwegs ist und auf sein Taschenmesser nicht verzichten möchte. Wir schaffen es immer, mit betretenem Gucken, nett Lächeln und Beschwichtigen, dass wir das Messer im Zug nicht nutzen werden, es schließlich doch mitnehmen zu dürfen. Natürlich geraten wir bei unserer allerletzten Zugfahrt prompt an einen ganz genauen Beamten, bei dem das alles nichts hilft. Zum Glück ist sein Vorgesetzter in der Nähe und nach fast einer halben Rolle Klebeband, die um die Messer gewickelt wird, dürfen wir sie doch mitnehmen. Glück gehabt!
Zwei Schweitzer Taschenmesser mit Klebeband umwickelt.
So verklebt dürfen unsere zwei Messer dann doch mit in den Zug…

Wie sah es in diesem Monat mit Fettnäpfen oder skurrilen Situationen aus?

  • In Urumqi werden wir von einem Taxifahrer, der uns mit seinen guten Englischkenntnissen überrascht, zum Bahnhof gefahren. Am Ende der Fahrt bedankt sich Sebastian mit „xièxie“ (chinesisch „danke“), woraufhin sich unser Fahrer umdreht und nett lächelnd sagt „I’m Uigur“. Sebastian hält sich gerade noch zurück, um nicht „I’m Sebastian – nice to meet you!“ zu antworten. Denn „Uigur“ ist nicht sein Name, sondern seine ethnische Zugehörigkeit. Er wollte uns wohl zu verstehen geben, dass wir statt „xiéxie“ das uigurische Pendant „rehmet“ verwenden sollen.
  • In Hotan, südlich der Taklamakan, treffen wir vor einer kleinen Polizeistation drei Chinesen (ohne Kontrabass 😉 ). Während ich mich mit der Frau auf Englisch unterhalte, findet Sebastian heraus, dass eine ihrer Begleiter lange in Deutschland gelebt hat und deshalb fließend Deutsch spricht. Als sich die beiden Einzelunterhaltungen zur großen Runde vereinen, reicht mir Sebastians Gesprächspartner die Hand und sagt: „Hallo, Haoyu [sprich: Haoyü]“. Ich antworte reflexartig „I’m fine, thank you! And how are you?“. Sebastian kann sich das Lachen kaum verkneifen, denn ich wurde nicht nach meinem Befinden gefragt, sondern der Gute heißt einfach Haoyu. Er nimmt’s zum Glück mit Humor.
Leo und Sebastian stehen mit Gepäck und einem Chinesen vor einem Zug.
Haoyu begleitet uns in Hotan zum Bahnhof und steht uns seitdem telefonisch bei Kommunikations-Engpässen zur Verfügung. Dankeschön!! 🙂

Gibt es Tipps für kommenden Langzeit(welt-)reisende?

  • Achtung DHL Paket: Nicht alles, auf dem DHL drauf steht, wird auch mit DHL befördert! Wir haben immer noch nicht verstanden, wie ein DHL Paket von Deutschland aus verschickt wird, denn trotz gekauftem „DHL Paket“, „DHL Trackingnummer“ und dem auf der DHL-Website genannten und gezahlten Preis kam unser Päckchen eben nicht mit DHL, sondern mit der ganz normalen Post. Das ist grundsätzlich nichts Schlimmes, dauert aber länger und der aktuelle Ort der Sendung lässt sich – im Falle von Kasachstan – nur in Deutschland und dann wieder in Kasachstan nachvollziehen.
  • Messer, auch Schweizer Taschenmesser, sind offiziell verboten in der chinesischen Bahn, aber mit viel Geduld und Charme klappte es trotzdem, sie mitzunehmen.
  • Da viele Internetseiten in China gesperrt sind, bietet es sich an, vor der Einreise eine VPN-App („virtual private network“) zu installieren, mit der sich diese Sperrungen umgehen lassen. Noch besser ist es, sich zwei VPN-Apps runterzuladen, falls eine – wie in unserem Fall – nicht funktioniert. Zufrieden sind wir mit „Psiphon Pro“, einer kostenlosen App.
  • Auch eine Übersetzungs-App chinesisch-deutsch oder chinesisch-englisch ist Gold wert! „Pleco“ übersetzt einzelne Wörter und Google Translator (auch in der Offline-Version) sogar ganze Sätze. Bei Pleco ist positiv, dass chinesische Schriftzeichen eingegeben können, was in unserer Google Translator Variante nicht möglich ist.
  • Übrigens, auch zum Thema Apps: Die hilfreichste App für Kasachstan (und eventuell auch in den anderen „Stans“, haben wir aber nicht ausprobiert) ist „2GIS“. Damit wird das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Städten zum Kinderspiel, denn die App zeigt alle verfügbaren Verbindungen von A nach B auf Knopfdruck. Funktioniert wunderbar!
Leo hält im Postamt von Almaty ein Paket in der Hand.
Sehr erleichtert können wir irgendwann endlich unser Päckchen mit den Visa für die kommenden Länder in Almaty in Empfang nehmen. Nun kann die Reise weitergehen!

Unser Fazit des siebten Monats

Wir sind in die zweite Halbzeit gestartet! Und das nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich. Nach vier Monaten in den „Stans“ beginnt mit China ein ganz neuer Abschnitt der Reise und mit den geplanten Stationen Pakistan und Indien wird dies auch so bleiben.

In den „Stans“ hatten wir uns gut eingefunden. Sebastian verbesserte sein Russisch sehr und ich habe das Lesen der kyrillischen Schrift gelernt – auf Grundschulniveau, würde ich sagen 🙂 Da sich die jeweiligen „Stans“ nicht fundamental voneinander unterscheiden, war der Grenzübergang nach China etwas richtig Neues nach langer Zeit und wir waren dementsprechend sehr gespannt auf das so andere Nachbarland Kasachstans.

Nach nun drei Wochen in Xinjiang gefällt es uns gut; Smalltalk sowohl auf Chinesisch wie auch auf Uigurisch ist uns leider aber nicht möglich. Trotzdem sind wir begeistert von den vielen netten, neugierigen, hilfsbereiten Menschen, müssen regelmäßig über die ängstlichen Kinder lachen, die sich beim Anblick von Sebastian hinter ihren Eltern verstecken und freuen uns über die tolle Landschaft, das leckere Essen und vor allem aktuell das sagenhaft frische Obst! 🙂

Und übrigens – selbst in China färben sich die Blätter langsam gelb und die Temperaturen sinken. Kalt ist es zum Glück noch nicht, aber wir wollen nicht zu lange warten, sondern noch rechtzeitig vor dem Wintereinbruch den Karakorum Richtung Pakistan überqueren.

Nachtmarkt in Kaschgar. Die Stände sind mit chinesischen Fahnen geschmückt.
Kashgar bereitet sich auf den chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober vor

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