Schiraz – „Thank god you like it!“

Schāh-e Tscherāgh in Schiraz

Unsere Tage in Yazd bei unseren „Goldstücken“ stecken uns noch in den Knochen, als wir Schiraz erreichen. Nach der Couchsurfing-Erfahrung der letzten Tage ist für uns dieses Mal klar, dass wir hier in einem Hostel unterkommen möchten. Da in der Innenstadt wieder mal alles ausgebucht ist, bekommen wir den Tipp, doch mal beim „Friendly Hostel“ anzurufen. Es sei zwar etwas außerhalb, aber die beiden Betreiber sehr nett und würden Englisch sprechen. Kurzerhand rufen wir an und haben Glück – es ist noch etwas frei!

Das Taxi bringt uns in ein ganz normales Wohnviertel und vor einem unscheinbaren, gut zwei Meter hohen Metalltor steigen wir aus. Das Einzige, das uns vermuten lässt, dass sich hier das „Friendly Hostel“ befindet, ist die Hausnummer: statt mit persischen (offiziell: ostarabisch-indischen) Ziffern ist sie an diesem Tor – dem einzigen der ganzen Straße – mit den uns bekannten Zahlen angeschrieben.

Und tatsächlich – mit einem herzlichen „Thank god you found the way!“ öffnet uns Eigentümerin Mehrane das Tor. Sie führt uns vom Innenhof eine schmale Treppe hoch in den ersten Stock und schon stehen wir in ihrem Wohnzimmer. Es ist mit Teppichen ausgelegt, aber ansonsten bis auf einen stoffbezogenen Schrank leer. In den Ecken stapeln sich Kissen, aber einen Tisch, ein Sofa oder andere Möbelstücke, die wir erwartet hätten, sehen wir nicht. Auch können wir nirgends das nette Doppelzimmer entdecken, welches wir auf ihrer Internetseite gesehen hatten. Dafür zeigt sie uns nun einen zwar abgetrennten Teil des Wohnzimmers, in dem ein Stockbett steht, der aber keine Türe und auch kein Fenster nach außen hat. Wo denn das Zimmer sei, dass wir im Internet gesehen hätten? Ach, das sei in Yazd, aber das wäre doch auch dabei gestanden? Mit ihrem Mann Mahmoud finden wir heraus, dass der erklärende Schriftzug auf dem Handy nicht erscheint.

Es ist aber sowieso egal, denn es gefällt uns hier und wir beziehen den Stockbett-Raum. Danach nehmen wir auf dem Boden im Wohnzimmer Platz. Mehrane breitet ein großes Tuch vor uns aus und gibt uns großzügig von ihrem Mittagessen ab. Obwohl das Essen vom dem Lieferservice stammt, für den Mahmoud sieben Tage die Woche arbeiten muss, ist es bis zu diesem Zeitpunkt eines der leckersten Gerichte, welches wir im Iran gegessen haben!

Stockbett
Unser Stockbett-Zimmer. Anders, als von uns erwartet, aber letztlich perfekt für uns.
Teppiche auf dem Boden
Das Wohn-, Ess- und Aufenthaltszimmer des Friendly Hostels. Auch ohne Möbel gemütlich!

Nach dem Essen sitzen wir bei einem Glas kalten Rosenwassers zusammen und unterhalten uns. Die beiden sind so geschockt und fast persönlich getroffen von unserer Couchsurfing-Erfahrung aus Yazd, dass wir schon bereuen, es ihnen überhaupt erzählt zu haben. „Can we stay here for the afternoon?“, fragen wir sie. Entsetzt schauen sie uns an: „Of course! This is not couchsurfing, this is your home now! Feel like home!”

So faulenzen wir den ersten Nachmittag in Schiraz im Wohnzimmer des Friendly Hostels. Gegen Abend brechen wir mit dem Bus auf in Richtung Stadt und ein glücklicher Zufall lässt uns genau am Holy Shrine aussteigen. Wir stehen noch planlos vor dem riesigen Tor und fragen uns, was das hier eigentlich sein soll, da kommt wie aus dem Nichts eine Frau auf mich zu und drückt mir einen Stoffknäuel in die Hand. Ich schaue sie verdutzt an, doch sie gibt mir mit ihrer Gestik zu verstehen, das Knäuel zu behalten, winkt mir kurz zu und ist auch schon wieder verschwunden. Ich habe einen Tschador geschenkt bekommen!

Wir stehen weniger als eine Minute alleine, da steuert eine in einem schwarzen Tschador verhüllte Frau zielsicher auf uns zu. Sie trägt eine Schärpe mit der Aufschrift „international affairs“ und spricht uns sogleich auf Englisch an. Als ehrenamtliche Führerin sei ihre Leistung kostenlos und sie würde sich sehr freuen, uns den Heiligen Schrein zeigen zu dürfen. Ja, warum nicht. Auch sie ist verwundert über meinen Tschador, nimmt ihn mir dann aber flugs aus der Hand, breitet das riesige Tuch um mich herum und knotet es mir unter dem Kinn zusammen. Ich komme mir vor wie ein lebendes Geschenk…

Eine Frau hilft Leo, den Tschador anzuziehen
Hilfe beim richtigen Anziehen des Tschadors

Gerade, als wir das Gelände des Holy Shrine betreten wollen, tritt eine iranische Familie mit einer augenscheinlich nicht-iranischen Frau zu uns. Unsere Führerin ist ganz aus dem Häuschen, eine iranisch-englische Familie hatte sie noch nie als Gäste. Resolut, wie sie ist, gibt sie die Losung für die kommende Stunde vor: ich bin ab nun die Schwester der Engländerin, Sebastian damit ihr Schwager, wir alle machen momentan gemeinsam Urlaub im Iran. Mit dieser kleinen Notlüge ist es ganz offiziell möglich, dass wir sogar das Heiligste des Schreines sehen dürfen, das eigentlich nur Muslimen vorbehalten ist.

Die kommende Stunde kriege ich vor Staunen kaum den Mund zu. Und abgesehen davon habe ich alle Hände voll zu tun, den doofen Tschador immer wieder nach vorne zu ziehen, der nach wenigen Minuten trotzdem erneut mein Stirnhaar freigibt. Der Holy Shrine ist eine riesige Anlage mit spiegelverzierten Sälen, glitzernden Kuppeln, gefliesten Wänden und Menschen, wohin das Auge reicht.

Der Besuch des Heiligsten des Schreins, eines silbereingerahmten „Kastens“, bildet den Höhepunkt unserer Führung. In diesem Bereich sind Männer von Frauen getrennt und Sebastian betritt mit den männlichen Mitgliedern unserer Gruppe den einen Eingang, während ich mit unserer Führerin und den Frauen zu unserem Eingang strebe. Ich bin überrascht über die tief bewegten, betenden, teils weinenden Frauen, deren größten Ziel es ist, an den Schrein im Zentrum des Raumes zu gelangen. Das herrschende, wahnsinnige Gedränge lässt mich spontan an einen Konzertbesuch denken, bei dem alle so nah wie möglich an die Bühne kommen möchten. Und auch unsere Führerin sieht es als ihre Pflicht an, mich und die Engländerin an den heiligen Kasten zu bugsieren.

Kurz vor einem klaustrophobischen Zusammenbruch will ich dieses Vorhaben schon fast abbrechen, da gibt sie mir einen letzten Schubs und endlich – ich berühre das Heiligste! „What could you feel?“, fragt sie mich später begeistert. Hmm, ehrlich gesagt beschäftigte mich vor allem die Frage, wie ich bei diesem Gedränge wieder vom Schrein weg komme. „I don’t know. Good, but also strange“, antworte ich ihr etwas nichtssagend. Aber sie strahlt mich an: „It’s always like this at the first time!”. Na gut, dann weiß ich ja Bescheid…

Schāh-e Tscherāgh in Schiraz
Auf dem Gelände des Schāh-e Tscherāgh, der Begräbnisstätte von Amir Ahmad und Mir Muhammad, beide Brüder des Imam Reza
Der heilige Schrein im Schāh-e Tscherāgh
Die Männerseite des Heiligen Schreins, nicht ganz so gut besucht wie der Teil im Frauenbereich

Was mich neben den inbrünstig betenden Frauen genauso fasziniert, sind die Aufpasserinnen, die versuchen, etwas Ordnung ins Chaos zu bringen. Sie sind mit bunten Staubwedeln bewaffnet und klopfen denjenigen Frauen, die zu lange direkt am Schrein beten, nett, aber bestimmt und beharrlich an den Kopf. Damit sie überhaupt die mehreren Reihen drängelnder Frauen überbrücken können, haben sie ihre Staubwedel kreativ teleskopartig verlängert.

Irgendwann geht unsere Führung dem Ende zu, die iranisch-englische Familie hört sich noch den Vortrag des „international affairs bureau“ an, worum wir uns höflich drücken. Zurück auf den nun schon dunklen Straßen Schiraz‘ sind wir immer noch sehr in Gedanken bei den letzten Stunden im Holy Shrine. Ich kann mich nicht entsinnen, irgendwo schon einmal Menschen gesehen zu haben, die in ähnlicher religiöser Inbrunst beteten.

Sebastian auf einem belebten Platz im Schāh-e Tscherāgh
Für Männer gilt (wieder mal) keine besondere Kleiderordnung
Leo mit Frauen und einem Mädchen. Alle tragen Tschador.
Abschiedsbild mit den Frauen der iranisch-englischen Familie und unserer Führerin

Der nächste Tag beginnt früh für uns – „Thanks god you slept well!“, begrüßen uns Mehrane und Mahmoud. Gestern Abend kamen noch zwei Malaiinnen im Hostel an und gemeinsam mit Li Ting und Tschin Ling und Fahrer-Guide Reza brechen wir schon früh zu einem Ausflug nach Persepolis auf. Und was haben wir Glück, dass Reza dabei ist; ohne ihn wäre Persepolis vor allem ein Haufen alter Steine. Doch dank seiner tollen Erklärungen erwacht die alte Stadt der Perser gedanklich wieder zum Leben und wir erkennen Details, die wir ohne ihn nie bemerkt, geschweige denn verstanden hätten. Was uns trotz des tollen Platzes aber nicht in den Kopf gehen möchte: Rucksäcke sind auf dem Gelände verboten, Taschen jedoch erlaubt. Leider wussten wir das nicht vorher, sodass für uns vier Besucher zu Beginn erstmal ein großes Umpacken beginnt.

Der Tag endet in einem Restaurant, wir vier Ausländer essen iranische Spezialitäten, während Reza Pizza bestellt, die mit viel, ganz viel Ketchup und Mayo „verfeinert“ wird. Li Ting schockt Sebastian und mich für einen kurzen Moment, als sie genüsslich das Knochenmark aus ihrem Rinderknochen raus klopft und das wie einen Regenwurm aussehende Mark schließlich isst. Ich schaue lieber weg… Reza serviert uns zum Nachtisch noch die absolute Spezialität der Gegend: Karottensaft mit Vanilleeis. Ehrlich gesagt auch das nicht so ganz mein Fall. ?

 

Leo sitzt mit vier Personen auf dem Boden und trinkt Tee
Ein frühes Frühstück mit Tschin Ling und Li Ting und unseren Gastgebern Mehrane und Mahmoud, bevor wir nach Persepolis aufbrechen
Eingangstor von Persepolis
Und da sind wir! Persepolis!
Eine Darstellung auf zwei Steinplatten, in der ein Löwe einen Stier beißt
Das alte Jahr frisst das neue – Frühlingsbeginn!
Darstellung von Männern auf einer Steinplatte
Wir sind überrascht über die noch gut erhaltenen Verzierungen
Menschen schauen sich die Überreste von Persepolis an
Alleine sind wir natürlich nicht…
Die Ruinen von Persepolis
Steine, wohin das Auge schaut
Überblick über Persepolis
Überblick über die Anlage, gar nicht so groß, aber für unsere Führung brauchen wir trotzdem Zeit, so viel gibt es zu entdecken
Sebastian und Leo mit einem Mann und zwei Frauen vor dem Eingang eines Felsentempels
Ein letztes Foto, bevor wir Persepolis den Rücken zuwenden

Den kommenden Tag verbringen wir viel in unserem neuen „Zuhause“, unterhalten uns mit Mehrane und mit Mahmoud, als er von der Arbeit nach Hause kommt. Von Mehrane lernen wir viel über den Iran und das Leben in Schiraz. Und auch sie kann etwas von uns lernen: dass Frauen bei einem Heiratsantrag auch ablehnen dürfen, bringt sie völlig aus der Fassung, so etwas hat sie bislang noch nie gehört. Und wie mein Verhältnis zu meiner Schwiegermutter sei? Ihres sei furchtbar, ob ich das auch kenne? Zum Glück kann ich nicht wirklich mitreden, denn beim Verhältnis zu meiner Schwiegermutter in spe gibt es nichts zu meckern. ?

Den Nachmittag verbringen wir in der Stadt und statten der „Pink Mosque“, der Grabstätte des verehrten Dichters Hafis und einer Pizzeria einen Besuch ab 🙂

Pinke Moschee in Schiraz
Besuch der Pink Mosque
Gebetsraum der Pinken Moschee in Schiraz
Farbiger Gebetsraum
Leo und Sebastian in einem Durchgang in der Pinken Moschee
Wir zwei
Sebastian hält vor einem Lastwagen, der mit Wassermelonen beladen ist, eine Wassermelone in der Hand
Leckere Melonen werden am Straßenrand verkauft
Das Grab von Hafis in Schiraz
Abstecher zum Grab von Hafis
Ein steinerner Sarg, um den herum viele Menschen stehen
Das Grab des iranischen Heldens ist gut besucht
Eine Decke aus Mosaik
Beeindruckende Mosaik-Decke
Leo isst eine Pizza
Pizza zum Abschluss dieses Tages. Bei uns ganz untypisch ohne Ketchup und Mayo 🙂

Den kommenden Tag verlassen wir Schiraz in Richtung Isfahan. Nicht, ohne von Mehrane noch eine riesige Tüte Proviant bekommen zu haben – extra für uns hat sie am Abend vorher noch „coco sabzi“, Gemüsefrikadellen, gemacht und bereitet uns fantastische Sandwiches damit zu.

Beide, Mehrane und Mahmoud, lassen es sich nicht nehmen und begleiten uns an die Hauptstraße, um uns ein Taxi zum Busbahnhof zu organisieren. „Thank god you liked our hostel!“, verabschiedet sich Mehrane von uns. „Thank god you liked it“ kommt uns schwer untertrieben vor. Denn tatsächlich waren die Tage in Schiraz bei Mehrane und Mahmoud die ersten seit wir in Deutschland aufgebrochen sind, in denen wir uns in der Fremde so ganz zu Hause gefühlt haben. Und so bin ich tatsächlich etwas emotional und wische mir heimlich eine Träne aus den Augen, denn gerne wäre ich noch länger bei diesen tollen Menschen in ihrem „Friendly Hostel“ geblieben!

Sebastian, Mahmoud, Leo und Mehrane
Abschiedsbild mit unseren Gastgebern Mehrane und Mahmoud

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2 Comments

  1. Liebe Leo, lieber Sebastian,
    wir freuen uns immer wieder, wenn von Euch ein neuer Beitrag kommt!! Auch wenn wir wenig Zeit haben immer zu kommentieren, so lesen wir die Beiträge doch sehr konsequent und erfreuen uns an Euren Schilderungen und den vielen schönen Fotos!! Passt weiter gut auf Euch auf, habt weitere schöne, spannende und anregende Erlebnisse und Begegnungen. In Gedanken begleiten wir Euch!!
    Liebe Grüße, Achim und Gaby

    1. Lieber Achim, liebe Gaby,
      das ist ja schön, von euch zu hören! Und schön zu wissen, dass ihr in Gedanken bei uns seid! 🙂
      Uns geht es nach wie vor sehr gut und zu 99% machen wir schöne Erfahrungen 🙂
      Viele liebe Grüße zu euch von uns beiden!

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