Ein Roadtrip durch Usbekistan

Ein roter Kleintransporter steckt in einem See fest

Hätten wir vorher gewusst, dass unser zufälliges Treffen mit Thomas unseren gesamten kommenden Reisemonat verändern würde, hätten wir unserem ersten Gespräch vielleicht mehr Bedeutung beigemessen. Aber wir wussten es nicht.

So kam es, dass wir an einem trotz Dunkelheit immer noch gut 28 Grad warmen Abend in Begleitung von Nicolás aus Belgien und Ichiro aus Japan auf der Suche nach einem Restaurant unser angenehm klimatisiertes Zimmer im schönen Rizo Boutique Hotel mit tollem Innenhof und gutem Frühstück verließen. Auf der beschaulichen Hauptstraße Bucharas angekommen, stachen uns vier große Geländewagen ins Auge, die alle mit einer Asienkarte und einer darauf eingezeichneten Route beklebt waren. Einige Männer standen an einem der beklebten Geländewagen und fachsimpelten über die jeweiligen Reiserouten von Europa nach Zentralasien.

„And how did you travel from Europe to Uzbekistan?“, fragte uns plötzlich einer der Männer. Wir leierten die übliche Story hinunter (Osteuropa, Türkei, Iran, Turkmenistan), beantworteten die Fragen nach unserem Heimatort, gaben Auskunft über die geplanten weiteren Reisestopps. Der Mann wechselte ins Deutsche und stellte sich als Thomas aus Liechtenstein vor. „Übermorgen fahre ich in die Berge. Wie sie heißen, habe ich vergessen. Aber ich habe zwei Plätze in meinem Auto frei – falls ihr für zwei, drei Tage mitkommen wollt, gerne!“. Sprach’s und ließ uns erst mal sprachlos staunen. Es präsentierte sich uns eine verlockende Möglichkeit, endlich mal unabhängig und leicht in die Natur zu kommen, auch wenn es bedeutete, die kleine Stadt Chiva und den Aralsee stattdessen nicht zu sehen. Den Iran hatten wir mit dem festen Wunsch verlassen, nun endlich mal mehr Zeit außerhalb der Städte zu verbringen. In Turkmenistan war aufgrund unseres knappen 5-Tages-Transitvisums das Programm sowieso vorgegeben. Jetzt in Usbekistan war wieder alles möglich. Also verabredeten wir uns für den nächsten Tag zu einem unverbindlichen Kennenlernen und groben Besprechen der Route.

„Hobt’s ihr an Diesel?“, ruft Thomas durch das heruntergekurbelte Autofenster einem jungen Mann an der Tankstelle zu. „So wird der arme Mann wohl kaum was verstehen“, denke ich mir, sage aber nichts. Wie erwartet guckt der Tankwart ratlos. „DIESEL?“, ruft Thomas nochmal, als wäre der Tankwart schwer von Begriff. Endlich versteht er. Schüttelt den Kopf. Geht weg. Das war die vierte Tankstelle, an der wir nun stoppen. Niemals hätten wir erwartet, dass es so schwierig sein kann, Diesel zu tanken. Und nun? Aber so schnell ist Thomas nicht bereit, aufzugeben. Außerdem, so beruhigt er uns, habe er noch einen Ersatztank mit 20 Litern iranischen Diesels dabei. Aber Nottropfen ist Nottropfen, deshalb eigentlich nicht für jetzt bestimmt. Bei der fünften Tankstelle haben wir endlich Glück. Es gibt Diesel. Und wir können die Fahrt in Richtung Nurata-Berge, nordöstlich von Buchara, beginnen!

Unser erstes Lager in diesem Roadtrip schlagen wir spontan noch weit entfernt von den Nurata-Bergen auf. Tatsächlich haben wir es heute gerade mal 50 Kilometer weit geschafft. Aber unser Platz fürs Mittagessen hat uns so überaus gut gefallen, dass wir einfach bleiben. Direkt am Ufer des Tudakul-Sees bauen Sebastian und ich zum ersten Mal bei dieser Reise endlich unser Zelt auf. Thomas richtet sich in seinem Bus sein Lager her. Zum Abendessen kochen wir improvisiert den Campingklassiker Nudeln mit Tomatensauce auf Thomas‘ Campingkocher. Abends gesellt sich noch Sabir, der Besitzer der kleinen Bambusunterstände zu uns, unter denen wir mittags als Schutz vor der Sonne Zuflucht gesucht hatten. Sabir zeigt uns auf seinem Laptop Fotos seiner Familie – zwei kleine Töchter hat er, auf die er sichtbar stolz ist.

Ein Steg auf dem Tudakul-See in Usbekistan
Der Tudakul-See gefällt uns so gut, dass wir gleich über Nacht bleiben
Campingstühle und ein Campingtisch am Ufer des Tudakul-Sees
Abendessen direkt am See
Sebastian, Thomas und Leo sitzen am Ufer des Tudakul-Sees
Die drei vom Roadtrip 🙂

Der nächste Morgen beginnt mit einem Bad im glasklaren und spiegelglatten See. Wir sind die einzigen Menschen weit und breit. Zum Glück sind noch keine betrunkenen Männergruppen hier, von denen wir uns gestern lieber ferngehalten haben. In der Stille des Morgens erschrecke ich mich fast, als auf einmal die Schiebetüre des roten Busses aufgeht und Thomas den Kopf zum Fenster rausstreckt.

Blick aus einem Zelt auf den Tudakul-See in Usbekistan
Herrlicher Ausblick aus unserem Zelt am nächsten Morgen
Sebastian sitzt in einem Zelt, das neben einem Kleintransporter steht
Unser praktischer Unterstand, der uns vor der stechenden Sonne schützt
Ein Holzhäuschen in einer Wüstenlandschaft
Das stille Örtchen. Sieht von außen noch nett aus, von innen nicht.

Nach einem ausgiebigen Frühstück müssen wir uns aufraffen, bei der sich steigernden Hitze des fortschreitenden Tages diesen wunderbaren See zu verlassen. Doch wir schaffen es und gegen Abend erreichen wir das kleine, verschlafene Städtchen Norota. Eigentlich sollten wir aufgrund der in Usbekistan geforderten Registrierung diese Nacht besser in einem Hotel oder Guesthouse verbringen, damit wir den gestempelten Nachweis dieser Übernachtung bei unserer Ausreise an der Grenze vorzeigen können. Doch das einzige Hotel im Ort ist mehr als trostlos, hat aktuell kein fließend Wasser und hat eigentlich gar nicht geöffnet. So beschließen wir, die Registrierung Registrierung sein zu lassen und kehren dem Hotel den Rücken zu. Doch wo nun unterkommen? Mitten im Ort zu campen sieht nach keiner wirklichen Option aus. Zufällig kommen wir an einem kleinen Restaurant vorbei und nach einigem Hin und Her dürfen wir tatsächlich auf dem Restaurantparkplatz unser Zelt aufschlagen. Abendessen und Frühstück bekommen wir sogar auch noch. Ein Jackpot!

Blühende Disteln
Vegetation am Wegesrand
Zwei Kühe
Interessierte Kühe
Sebastian begrüßt auf einer Straße einen Ziegenhirten per Handschlag
Nette Begegnung mit einem Hirten mitten auf der Straße
Industriegebiet von Navoiy, Usbekistan
Wir passieren Navoiy, nicht gerade ein Luftkurort… Schön, dass wir hier eh nicht bleiben wollten.
Ziegenherde
Ziegenherde im Abendlicht
Ziegen an einer Wasserstelle
Wasserstelle, für Tiere ebenso wie für Menschen von großer Bedeutung
Moschee in Nurota, Usbekistan
Die Moschee Nurotas
Ein Mann kurbelt an einer Zapfsäule einer Tankstelle
An dieser Tankstelle gibt es sogar Diesel! Aber leider aktuell keinen Strom. Also muss von Hand gepumpt werden, damit der Treibstoff im Autotank ankommt.
Ein Zelt steht neben einem roten Kleintransporter auf einem Parkplatz
Unser improvisiertes Lager der zweiten Nacht. Unsere Luftmatratzen haben sich auf dem Betonboden sehr bewährt! 🙂

Die von Thomas grob geschätzte Reisedauer von zwei bis drei Tagen neigt sich bereits schwer dem Ende zu und wir haben die Nurata-Berge noch nicht einmal erreicht. Zum Glück leidet keiner von uns unter Zeitdruck und so steuern wir gemeinsam weiter gen Norden, in Richtung des Aydarkol, des riesigen, von Menschenhand geschaffenen Sees im Norden Usbekistans. Wir fahren durch eine beeindruckend große, sandige, ockerfarbene Wüstenebene, rechts von den Nurata-Bergen begrenzt und links von dem größer und größer werdenden Aydarkol.

Bei weiter brennender Sonne und mehr als 35 Grad hält uns nichts auf der geplanten Route Richtung Nurata-Berge und so biegen wir kurzerhand links ab zum Aydarkol. Hätte Thomas zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass er im Anschluss seinen Bus mehrere Stunden lang entstauben würde, hätte er diesen Abstecher vielleicht nicht gemacht. Aber – zum Glück für uns – wusste er es nicht.  Und so springen wir nach etwa einer Stunde Fahrt über sandige und geschotterte Schlaglochpisten in den Aydarkol, bevor wir uns schnell wieder anziehen, um uns vor stechender Sonne und ebenso stechenden Moskitos zu schützen. An diesem Abend erreichen wir das kleine, nun tatsächlich in den Nurata-Bergen gelegene Dörfchen Sintab und wir quartieren uns in ein gemütliches, familiengeführtes, kleines Gästehaus ein. Noch wissen wir nicht, dass wir drei Tage an diesem gemütlichen Ort bleiben werden.

Sebastian und Leo in einer Wüste
Auf einmal stehen wir in der Wüste!
Schotterpiste in der Wüste
Staubpiste in Richtung Aydarkol
Ein roter Kleintransporter steckt in einem See fest
Die Anfahrt Richtung See ist nicht ganz leicht…
Leo watet durch das Wasser eines Sees
…aber am Ende kommen wir bis ans Ufer

„Helloooo!“ Ein kleiner, vielleicht vierjähriger Junge schaut mich begeistert an. „Good morning! What’s your name?“, frage ich ihn. Er guckt mich fragend an. Ich zeige auf mich: „My name is Leo. What is your name?“ Mein Finger zeigt nun auf ihn. Sein Gesicht strahlt auf. „Kalbinüt!“, ruft er mir zu. „Your name is Kalbinüt?“, vergewissere ich mich. Da schaut auf einmal ein kleines Mädchen um die Ecke. „K-A-L-B-I-N-Ü-T!“, weist sich mich bestimmt zurecht. „Kalbinüt?“, wiederhole ich. „K-A-L-B-I-N-Ü-T!“, korrigiert sie mich. Einen Unterschied kann ich nicht hören. Naja. „And you?“, frage ich sie. „M-O-C-H-I-N-Ü-T!“, gibt sie mir ebenso bestimmt mit ihren vielleicht drei Jahren zurück. Mochinüt und Kalbinüt, die Kinder des Hauses, haben in den kommenden Tagen allerhand Pläne für uns. Ohne Worte, aber mit einer beeindruckenden Gestik, lassen sie sich von uns Kekse reichen, fordern uns zu Spaziergängen außerhalb des Geländes auf oder wollen sich stundenlang mit unserer Hilfe ihre Hände waschen lassen. Ihre Mutter, wie alle weiblichen Familienangehörigen, ackert den lieben lange Tag in Haus und Garten, während ihr dickbäuchiger Vater verträumt und abwesend mit einer Sichel im Gras sitzt und scheinbar überhaupt nichts zustande bekommt. Die beiden Kinder haben einen riesigen und abwechslungsreichen Garten ganz für sich.

Leo umarmt ein Mädchen
Mochinüt lenkt mich mit Erfolg vom Blogschreiben ab…
Junge im Garten
…und auch ihr Bruder Kalbinüt weiß uns gut zu beschäftigen 🙂
Sebastian sitzt mit Handy in der Hand an einem Tisch, der unter einem Baum steht.
Trotzdem bleibt noch genügend Zeit zum Entspannen im schönen Garten
Schotterstraße in den Nurata-Bergen
Spaziergang weiter hinein ins Tal
Wanderung in den Nurata-Bergen
Endlich ist es am Nachmittag nicht mehr so heiß
Ein Baum auf einer Felswand
Aussicht
Männer auf Eseln auf einer Schotterstraße im Gebirge
Fröhliche Dorfbewohner
Blühender Dornenbusch neben einer Schotterstraße
Am Wegesrand
Sebastian streichelt ein Kalb
Kälbchen „gefunden“
Ein Reiter sitzt auf einem Pferd, das aus einem Fluss trinkt
Kleine Pause
Rote Rose
Stillleben, das Erste…
Mauer aus aufgeschichteten Steinen
Stillleben, das Zweite…

Drei Tage, schöne Spaziergänge, viele gelesene Buchseiten und von Tag zu Tag härter werdendes, aber immer wieder vorgesetztes Brot später, verlassen wir das für uns idyllische Plätzchen in Sintab. Unsere Reise führt allerdings nicht weit, gerade mal ins Nachbartal Ukhum fahren wir. Dort besuchen wir Alibek, einen Guide, den wir in Sintab kennengelernt hatten.

Er wohnt mit seiner Frau und Kindern in einem schönen Haus, das von einem noch viel schöneren Obst- und Gemüsegarten umgeben ist. Obwohl gerade Ramadan ist und wir nachmittags unangemeldet vor seiner Türe stehen, werden wir mit Tee, Brot und Maulbeergelee bewirtet. Alibek darf aufgrund seiner Arbeit als Tourguide mit uns essen, der Rest der Familie wartet jedoch auf den Abend, wenn das Fasten gebrochen wird.

Menschen ernten mit einem großen Tuch Maulbeeren in einem Garten
Spontane Maulbeerernte uns zu Ehren
Ein Teller voller Maulbeeren
Die leckere Ausbeute
Alibek, Thomas und Sebastian in einem Dorfladen
Kurzer Besuch in Alibeks Dorfladen

Gemeinsam mit Alibek fahren wir weiter ins Tal hinauf und halten vor einem Tor. Bei dieser Familie werden wir die kommende Nacht schlafen. Sebastian, Thomas und Alibek schnüren ihre Schuhe und sind bald zu einer kleinen Wanderung verschwunden, ich darf es mir auf dem Tapchan, einer Art großem, mit Matten ausgelegtem Bettgestell, gemütlich machen. Tursonoy, die junge Frau des Hauses, setzt sich zu mir. Wie alt ich sei? Verheiratet? Kinder? „But why not?“ Tja, was soll ich antworten? Dass ich erst mal studiert habe und auch in meinem Beruf arbeiten wollte? Dass ich aktuell lieber reise, als mit Kindern, Haus und Hof festzusitzen? Für sie, die mit 19 Jahren ihr erstes Kind bekommen hat, sind wahrscheinlich alle meine Gründe sonderbar. Ob meine Eltern noch leben? Ob ich Geschwister habe? Die Smalltalk-Fragen haben sich schon seit der Türkei (oder sogar schon früher?) merklich zu denen in Deutschland gerne gestellten ersten Fragen verändert…

Mit allen Kindern, Nichten und Neffen, mit Tursonoys Schwiegermutter und ihrem Mann sitzen wir abends gemeinsam zusammen, zeigen Fotos aus Deutschland, von unserer Familie, von unseren Freunden. Es herrscht eine fröhliche, entspannte Atmosphäre und wieder einmal bin ich froh, ein kleines Fotoalbum mit Fotos von zu Hause dabei zu haben.

Ukhum in den Nurata-Bergen in Usbekistan
Toller Ausblick auf Ukhum während der Wanderung
Alibek und Sebastian blicken ins Tal
Alibek und Sebastian gönnen sich eine Pause
Ein Junge sitzt ohne Sattel auf einem Pferd
Junger Reiter
Sebastian und Leo mit einer usbekischen Familie
Abschiedsfoto mit Tursonoy und ihrer Familie

Die Verabschiedung am nächsten Morgen ist herzlich. Nicht nur dieser netten Familien sagen wir ‚Auf Wiedersehen‘, sondern auch unserem schönen Roadtrip in die Natur Usbekistans, der heute seinem Ende zugehen wird.

Abends erreichen wir Samarkand und nach etwa einer Woche in absoluter Ruhe sind wir überrumpelt von dieser lauten, wuseligen und touristischen Stadt.

„Erst mal ankommen und gemütlich für ein paar Tage hierbleiben“, denke ich mir. Doch es soll anders kommen, nicht wirklich lange werden wir in Samarkand bleiben. Aber das wissen wir zu diesem Augenblick noch nicht…

Ein mit Pflanzenteilen beladener Esel
Ohne Esel würde in dieser Gegend nur wenig funktionieren, so scheint es uns
Wasserrad in einem Bach
Eine Wasserrad. Sieht beeindruckend aus, erfüllt aber nicht seinen Zweck, da ein Rohr gebrochen ist.
Mit Heu beladener Lastwagen auf einer Straße
Voll beladener Laster auf dem Weg nach Samarkand

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