Unsere Tage mit Fatih

Sebastian und Leo sitzen mit Fatih auf dem Boden und essen

„Und wo seid ihr?“ fragt uns Fatih am Telefon. „Wir stehen mit unserem Mietwagen auf einem Parkplatz…“, antworten wir. „Ok… Und wie heißt die Straße?“, fragt er weiter. „Wie heißt die Straße?“, puh, gute Frage. Praktisch, dass der Parkplatzwächter neben uns steht, so reichen wir das Handy an ihn weiter. Obwohl die beiden Türkisch sprechen, dauert die Beschreibung unseres Standorts recht lange. So leicht ist unser Parkplatz scheinbar nicht zu finden. Aber zehn Minuten später biegt ein etwa 30-jähriger Mann um die Ecke und lächelt uns an. Das muss Fatih sein! Hat er uns also doch gefunden auf unserem kleinen Parkplatz mitten in Sinop.

Ein langer Reisetag von Amasra nach Sinop liegt bereits hinter uns, immer entlang der Küste des Schwarzen Meeres. Auf kleinen, kurvigen Straßen legen wir die gar nicht so vielen Kilometer in dafür ziemlich viel Zeit zurück und ich kämpfe aufgrund der vielen Serpentinen immer wieder gegen die Übelkeit an. Aber die spektakulären Ausblicke auf das Meer und die kleinen Dörfer entschädigen mich dafür – hier ist es viel schöner als auf der Autobahn. Ein Höhepunkt der heutigen Anreise ist auf jeden Fall unser Stopp bei einer kleinen Bucht, bei der wir bei einem Glas Çaj, dem türkischen Schwarztee, Eisvögel beobachten und fotografieren können! Dafür nehme ich auch das Unwohlsein in Kauf… 🙂

Nach den gemütlichen Tagen im Hotel in Amasra sind wir in Sinop mental nun wieder bereit für Couchsurfing. Wieder bin ich gespannt auf die Wohnung unseres Gastgebers Fatih und wie wir bei ihm unterkommen werden. Angekommen bei ihm zu Hause bin ich positiv überrascht, denn er wohnt gemütlich und überraschend sauber. 🙂 Aber auch er, entgegen den Angaben in seinem Couchsurfing-Profil, steckt sich als erstes eine Zigarette an, raucht aber immerhin direkt vor der Abzugshaube. Warum er nicht einfach ans Fenster oder auf den Balkon geht, möchte ich ihn fragen, lasse es dann aber doch.

Kurvige Straße
Auf kurvigen Straßen geht es im Auto Richtung Osten
Zwei Eisvögel auf einem Stein
Zwei muntere Eisvögel ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich

Fatih zaubert uns ein leckeres Abendessen und akzeptiert keine Hilfe von uns – „Relax!“ ist seine einzige Anweisung. Aber er erzählt uns während des Kochens, dass er Dozent für Russisch an der Universität ist und selbst ein Weilchen in Russland gelebt hat. Sebastian und er haben gleich ein Thema gefunden und wir merken Fatih seine Lehrerseele an, denn er macht aus dem Kochen im Nu einen Russisch-Vokabeltest.

Zum Abendessen möchte ich den Esstisch decken, doch schaue mich nur suchend um. Es gibt keinen. Fatih breitet ein großes Tuch auf dem Wohnzimmerteppich aus und stellt unser Abendessen – Hühnchen mit Kartoffeln, Pilzen und Brot – auf die Mitte des Tuchs. Wir nehmen drum herum Platz. Ganz bequem ist es auf Dauer nicht und schon bald müssen wir unsere Sitzhaltung verändern, was Fatih lachend kommentiert. Er erzählt uns von einem Freund, der gerne mit seinen Eltern über das Referendum reden und sie von einem „Nein“ überzeugen würde, sich das jedoch nicht traut, aus Sorge, dass die Telefonleitung abgehört wird. Wir sind schockiert. Solche Ängste kennen wir aus Deutschland zum Glück nicht.

Sebastian und Fatih sitzen auf dem Boden und essen
Leckeres Abendessen auf dem Boden

Nach dem Abendessen machen wir uns auf in die Stadt, um etwas trinken zu gehen. In einer kleinen Kneipe sitzen junge und alte Menschen zusammen und unterhalten sich. Wo bei uns alle ein Bier trinken würden, trifft man sich hier auf ein Glas Çaj. Fatih ist bester Stimmung, als er am Nebentisch Studenten von sich entdeckt. „Kommt her!“ oder so ähnlich sagt er zu ihnen auf Türkisch. Brav folgen sie seiner Anweisung und setzen sich an unseren Tisch. Es folgt ein Sprachtest mit uns als Versuchskaninchen, denn die Studenten lernen Deutsch oder Russisch als zweite Fremdsprache. Allerdings sind sie nach drei Jahren noch nicht auf dem Niveau, einfachste Fragen verstehen oder beantworten zu können. Wie hier Sprachunterricht wohl abläuft?

Schließlich wechseln wir doch ins Englische und erfahren, aus welchen Städten sie kommen und dass sie nach Abschluss der Uni nicht in Sinop bleiben möchten. „Ankara oder Istanbul, das wäre toll!“, sagt Abdullah auf unsere Frage, wo er denn gerne nach der Uni wohnen würde. Es ist inzwischen spät geworden und so gehen wir zurück in Fatihs Wohnung, wo wir auf zwei Schlafsofas im Wohnzimmer unser Lager aufschlagen.

Drei türkische Studenten an einem Tisch
Fatihs Studenten üben – verdonnert von ihrem Dozenten – mit uns Deutsch und Russisch 🙂
Schlafzimmer
Zeit zu schlafen! Gute Nacht! 🙂

Der nächste Morgen begrüßt uns mit strömendem Regen. „Nochmal umdrehen und weiterschlafen“, denke ich mir. Irgendwann stehen wir dann doch auf und auch Fatih kommt aus seinem Zimmer. „Was machen wir heute?“, fragt er uns voller Elan. „Erstmal frühstücken!“ ?

Trotz Regen brechen wir schließlich auf und besuchen das „Alcatraz der Türkei“, wie Fatih das alte Gefängnis im Ort bezeichnet. Ich verstehe nicht ganz, warum wir uns unbedingt ein altes und bedrückendes Gefängnis anschauen müssen, doch laut Fatih müssen wir das gesehen haben, denn es zählt zu den must-sees in Sinop. Später lese ich auf Wikipedia, dass das Sinop Fortress Prison oder auf Türkisch Sinop Kale Cezaevi ein staatliches Gefängnis innerhalb der Burg Sinop war. Als eines der ältesten Gefängnisse der Türkei wurde es 1887 eröffnet. Seit 1997 ist es geschlossen und fungiert seitdem als Museum. Bedrückend finde ich es trotzdem, vor allem, da es gar nicht wie ein Museum wirkt, sondern einfach wie ein altes, jetzt leer stehendes, Gefängnis. Es gibt keine Infotafeln und wir können in alle alten Zellen und Gefängnisräumlichkeiten hineinschauen. Türkische Touristen scheinen den Ort als nicht so bedrückend zu empfinden und nutzen ihn als Kulisse für Selfies mit Familie und Freunden…

Sinop Kale Cezaevi
Das Wetter passt zu dem deprimierenden Ort
Eine Bank unter einem Baum im Gefängnishof
Langsam erobert sich die Natur das Gefängnis zurück
Eine Pflanze vor einem Gitter
Ein Zeichen von Hoffnung zwischen Fensterscheibe und Gittern

Als wir das Gefängnis verlassen, regnet es noch immer und wir suchen Zuflucht in einem Teehaus. Dieses ist ein großes Zelt, in dem Männer und auch ein paar Frauen um runde Tische sitzen, ihren Çaj schlürfen und Brettspiele spielen. Ab und an kommt ein Simitverkäufer hinein und bietet seine Sesamkringel an. Wieder rauchen fast alle Männer, aber durch die nur halb geschlossenen Seitenwände kommt immerhin ein bisschen frische Luft ins Zelt. Wir sind überrascht, dass unter jedem Tisch ein Heizstab im Tischbein integriert ist, der uns die Beine wärmen soll. Und auch ordentlich die Plastikbezüge der Stühle ankokeln lässt… Ob das so sinnvoll ist? Fatih ist überzeugt von der Technik: Warum sollen wir frieren, wenn wir es auch warm haben können?

Sebastian und er spielen ein uns unbekanntes türkisches Brettspiel und danach Backgammon, bis der Regen endlich nachlässt und wir zur alten Burg von Sinop laufen. Den Nachmittag schließen wir mit einer Portion Mantı (sprich: Mánte) ab, die wie Ravioli aussehen. Ich bekomme die vegetarische Variante mit Joghurt, Sebastian die vegetarische Variante mit Walnussstückchen und Fatih bestellt “normal”, also mit Rind gefüllte Ravioli mit Joghurt. Sehr lecker!

Fatih, Sebastian und Leo essen Manti
Im Mantı-Restaurant
Ein Teller voll Manti
Und so sehen sie aus…

Langsam bin ich müde, bei ständigem Regenwetter durch die Stadt zu laufen und horche auf, als Fatih vorschlägt, ins Hamam zu gehen. Ob es auch einen Frauenbereich gibt, möchte ich von ihm wissen. Gibt es nicht. Der Hamambesitzer bietet mir an, das Hamam trotzdem zu besuchen, aber ich lehne dankend ab. Ob es einer türkischen Frau wohl in den Sinn käme, am Männertag ins Hamam zu gehen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Schon ungerecht, dass das Hamam nur an einem Tag in der Woche für Frauen geöffnet ist.

So entspanne ich mich in Fatihs Wohnung auf dem Sofa, während die Männer ins Hamam aufbrechen. Als sie endlich zurück kommen, bin ich sehr gespannt, wie es war. „Anders als erwartet“, erzählt Sebastian. Abgeschrubbt, wie ich das in Marokko erlebt hatte, wurde er nicht. Dafür gab es verschiedene Räume mit entweder Sauna oder heißen Steinen, Sitzgelegenheiten, bei denen man sich mit großen Kellen Wasser über den Körper schüttete und Ruhekabinen für zwei Personen, in denen man sich entspannen und unterhalten konnte. Alles in allem ein schöner Ausflug für die beiden.

Hamam von außen
Das Hamam – für mich nur von außen anzuschauen
Die Kuppeln des Hamam
Unter den Kuppeln ist es innen wohl sehr gemütlich, berichten mir die beiden später
Sebastian ist mit Handtüchern eingewickelt
Sebastian in Hamam-Entspannungs-Kluft. Danke Fatih für das Foto! 🙂

Extra für mich kocht Fatih am Abend vegetarisch. Ich freue mich, als er sagt, dass es Pilze gibt. “Und was gibt es dazu?”, frage ich ihn. Doch er verrät nichts… Es gibt schließlich viele, sehr viele Pilze mit Joghurt und Brot. Ein bisschen Reis hätte dem Gericht nicht geschadet, finde ich, aber freue mich trotzdem über das leckere Abendessen, das wir wieder auf dem Wohnzimmerteppich zu uns nehmen.

Kurz danach schlägt Fatih vor, die Wohnung noch einmal zu verlassen und wir rufen kurzerhand seinen Kollegen Çan an, der an der Uni Deutsch unterrichtet. 30 Minuten später sitzen wir ihm in der Kneipe gegenüber. “Ich hatte gedacht, Fatih erlaubt sich einen Witz mit mir, als er sagte, dass er deutsche Gäste hat”, berichtet uns Çan. Wir freuen uns, dass er trotzdem zu unserer Verabredung gekommen ist und haben einen lustigen Abend auf Deutsch, Englisch, Russisch und Türkisch bei einigen Glässchen Çaj und Salep, einem sehr leckeren und uns komplett unbekanntem Getränk aus Milch und Salepkraut, das aus einer Orchideenwurzel gewonnen wird. Müde und zufrieden fallen wir bald darauf ins Bett. Was wir an diesem verregneten Tag doch alles gemacht, gesehen und erlebt haben!

Sebastian, Fatih und Leo sitzen auf dem Boden und essen
Unser zweites Abendessen auf dem Boden, jetzt sitzt es sich schon etwas leichter
Fatih und Leo telefonieren an Telefonzellen in Möwenform
Die zwei vom Möwentelefon
Fußgängerzone in Sinop
Abendstimmung in Sinop – endlich mal ohne Regen!
Çan, Fatih, Leo und Sebastian sitzen an einem Tisch und trinken türkischen Tee
Unser lustiger deutsch-englisch-türkisch-russicher Abend

Der kommende Tag ist Sonntag und nach dem Frühstück verlassen wir Fatih. Es wird Zeit, weiterzufahren in Richtung Osten. Wir machen einen kurzen Abstecher auf den unbewohnten Teil der Halbinsel Sinop und freuen uns über die tollen – und heute sonnigen! – Ausblicke auf die Stadt und das Meer. Kurz darauf machen wir uns auf den Weg und biegen ab in Richtung Ordu, weiter der Schwarzmeerküste nach Osten folgend.

Sebastian und Fatih am Laptop
Die neuen besten Freunde schauen zum Abschied gemeinsam unseren Blog an 🙂
Bewachsene Küste
Abstecher auf den unbewohnten Teil der Halbinsel Sinop
Verblühte Disteln
Disteln am Wegesrand
Uferpromenade in Sinop
Tschüss Sinop! Hier hat es uns gut gefallen!

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6 Comments

  1. Hallo, ich habe Euch kommentargeschriebenund von meiner inter-rail und Busreise von vor 2 Jahren geschrieben dann abschiecken wollen. Da hieß es:Kommentar wartet auf Freischaltung oder so ähnlich. Aber als abgeschickt finde ich ihn nicht auch nicht mehr den Text. Mal sehen, was mit diesem passiert.

    1. Hallo Hanno,
      dein Kommentar ist gut bei uns angekommen! Leider müssen wir die Kommentare vorab prüfen, weil es immer wieder auch Spam gibt.
      Liebe Grüße!

  2. Hi Leo und Sebastian,
    Hab die letzten Stunden damit verbracht eure tolle Reise zu verfolgen. Hab alle Berichte von vorne bis hinten gelesen! Und ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht.
    Bei uns regnet es seit 2 Tagen in Strömen, und es sind um die 0 Grad. Da ist es das Beste von wunderschönen Orten und tollen Begegnungen zu lesen.
    Wünsch euch weiterhin eine super Zeit!!!!!
    Viele Grüße
    Linda

    1. Hi Linda,
      vielen Dank für deinen lieben Kommentar! Da freuen wir uns sehr, wenn wir dir ein bisschen Sonne und Ablenkung ins verregnete Augsburg zaubern können! 🙂
      Liebe Grüße!

Comments are closed.

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