Ein Besuch in Sofia – Von Biokost und einem Ausflug in den Schnee

Leo und Hristina sitzen neben zwei Statuen auf einer Bank

„Bulgarien ist schon ganz ok… Aber ehrlich gesagt haben wir nicht viel davon gesehen. Wir fahren lieber nach Italien oder Griechenland in den Urlaub“, geben uns Anja und Tasa, unsere Gastgeber aus Belgrad, mit auf den Weg, bevor wir uns von ihnen verabschieden. Von Belgrad aus reisen wir mit dem Bus nach Bulgarien und die Einreise zurück in die EU ist im Nu geschehen. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass am frühen Abend am Grenzübergang kaum etwas los ist. In Sofia kommen wir am topmodernen und blitzeblanken Busbahnhof an. Ich bin überrascht. Das hatte ich anders erwartet. Es ist mittlerweile dunkel geworden und wir irren durch die Gegend, um einen Geldautomaten zu finden. Momentan können wir nicht mal auf die öffentliche Toilette gehen.

Nachdem wir endlich zu Bargeld gekommen sind, machen wir uns auf den Weg zu unserer Couchsurfing-Unterkunft. Ich bin froh, dass wir an der Metrostation die Tickets an einem Schalter kaufen können und uns nicht durch den Ticketautomaten quälen müssen. Alles ist auf kyrillisch geschrieben und ich laufe wie eine Analphabetin durch die Gegend. Sebastian wirft mir einen triumphierenden Blick zu. Ja, ich weiß, ich habe die Buchstaben immer noch nicht gelernt… Die Verkäuferin drückt uns das Ticket in die Hand und weist uns den Weg zum richtigen Bahnsteig. Auch hier ist alles neu, blitzblank, aber menschenleer. Ich finde das etwas unheimlich. Wo sind all die Menschen?

Ein Bahnticket mir kyrillischen Buchstaben
Ich werde zur Analphabetin und vertraue darauf, dass alles passt, was auf dem Ticket steht.

Angekommen am vereinbarten Treffpunkt, stehen wir schnell wieder alleine auf dem Bahnsteig. Von unserer Gastgeberin ist nichts zu sehen, obwohl ich uns kurz zuvor per SMS angekündigt hatte. Nach einer Viertelstunde Warten beschließen wir, sie anzurufen. Eine gute Idee, denn meine Nachricht war gar nicht angekommen. Während wir warten, macht sich in mir Spannung breit. Unsere letzten Couchsurfing-Erfahrungen waren toll, doch wie wird es dieses Mal sein? Wer sind die Menschen, die uns für drei Nächte aufnehmen werden?

Plötzlich steht Hristina strahlend vor uns. „Herzlich willkommen in Sofia – wie war eure Reise?“, fragt sie uns in fließendem Deutsch. Auf dem Weg zu ihrem Zuhause erzählt sie uns, dass sie ihr Geld als Übersetzerin verdient und in ihrer Freizeit Deutsch lernt. Sprachen sind ihr Hobby.

In ihrer Wohnung empfängt uns ihr Mann Petar lächelnd an der Türe. Die beiden zeigen uns unser Zimmer und zaubern flugs ein tolles Abendessen auf den Tisch. Hirsesuppe mit Gemüse aus dem eigenen Garten, Salat, selbstredend auch alles aus dem eigenen Garten, und zum Nachtisch selbstgemachte Schokopralinen. Dazu trinken wir selbstgepflückten Kräutertee und Kirschsaft aus eigener Produktion. Ich freue mich, dass es ein vegetarisches Abendessen gibt, ich hatte anderes erwartet. Aber die beiden berichten, dass sie sich seit langem schon vegetarisch ernähren, vor allem mit Lebensmitteln aus eigenem Anbau und ansonsten, wenn möglich, nur bio. Hristinas Hobby ist Kochen, was für uns mehr als perfekt ist. ?

Das Abendessen ist köstlich und wir finden jede Menge gemeinsame Gesprächsthemen. Petar erzählt von seiner Arbeit und ich bin überrascht, als er berichtet, Nuklearphysiker zu sein.  Wir sprechen über Kernkraftwerke, erneuerbare Energien und Plutonium-Bomben. „Is it not very dangerous?“, frage ich ihn skeptisch. „Nooo…“, winkt er ab. „You just should not do any mistakes…“ Hmm, ganz überzeugt bin ich nicht. Zusätzlich wundere ich mich über den Kontrast seiner Arbeit zu seinem Privatleben. So ein Job und dann aber diese bewusste bio und öko-Lebensweise? Das klingt paradox für mich…

Schlafzimmer
Unsere Schlafstätte für die kommenden drei Nächte
Leo und Hristina sitzen am Frühstückstisch
Auch das Frühstück ist sehr lecker und ausgewogen!

Für den kommenden Tag hat sich Hristina frei genommen, um uns die Stadt zu zeigen. Sofia empfängt uns mit einer aufgeräumten, hübschen und modernen Innenstadt. Wie auch in Belgrad sind die Vororte gesäumt von Sowietbauten, die grau in Richtung Himmel streben. Doch die Innenstadt strahlt ein gemütliches Flair aus, was vielleicht auch an den warmen Frühlingstemperaturen und dem strahlenden Sonnenschein liegt, der alle auf die Straßen lockt.

Vorbei an orthodoxen Kirchen, einer Moschee, Museen, der russischen Kirche, der großen Alexander-Newski-Kathedrale, der Universität, diversen Bioläden und Öko-Eisdielen lernen wir Hristinas Sofia kennen. Intensiver und persönlicher hätten wir dies nie schaffen können. Auch wenn wir die meisten versteckten, kleinen hübschen Lädchen wahrscheinlich nie wiederfinden werden, bleibt uns dieser Tag doch bestens in Erinnerung.

Ein Ast mit Martinizi
Mit Martenizi begrüßen wir den Frühling, ein typischer Brauch in Bulgarien
Sebastian, Leo und Hristina in Sofias Innenstadt
Hristina zeigt uns ihr Sofia
Sofia mit dem Berg Vitosha
Der Berg Vitosha. Noch ahnen wir nicht, dass wir bald oben im Schnee stehen werden.
Die russische Kirche Sweta Nikolai in Sofia
Die russische Kirche Sweta Nikolai
Die Alexander-Newski-Kathedrale
Vor der Alexander-Newski-Kathedrale
Sebastian und Leo vor der Alexander-Newski-Kathedrale
Schön warm ist es geworden, zum ersten Mal können wir im T-Shirt durch die Stadt laufen
Straßenbahngleise in Sofia
Auf Erkundungstour in Sofia
Ein Haus mit der Aufschrift "Chupa-Chups"
Blick auf’s „Chupa-Chups“-Haus im Zentrum

Einmal holt mich doch tatsächlich meine momentan pausierende Arbeit ein, als wir an einem alten Badehaus mit Thermalquellen vorbeikommen. Nebenan ist eine öffentliche Wasserstelle und Dutzende Menschen füllen ihre mitgebrachten Wasserflaschen auf. Mir schmeckt es nicht und Hristina rät auf Grund des hohen Mineralgehalts von übermäßigem Genuss ab. Aber wie ist das wohl, rund um die Uhr an jedem Tag des Jahres freien Zugang zu warmen Thermalwasser zu haben? Ob das wohl viele Menschen nutzen? Ich verzichte trotz meiner Neugier auf Interviews und folge Hristina und Sebastian, die schon um die nächste Ecke biegen.

Hristina und Leo an einem Wasserhahn
Wahnsinn! Fast heißes Thermalwasser kommt aus den vielen Hähnen dieser Wasserstelle
Ein Mann füllt Brunnenwasser in einen Kanister
Viele Menschen machen davon Gebrauch und füllen sich Wasser für zu Hause ab.
Wassersträhle aus einem Brunnen
Mit 46 Grad sprudelt das Thermalwasser aus dem Hahn
Das zentrale Mineralbad in Sofia
Das Zentrale Mineralbad Sofia – früher ein Mineral- und Schwimmbad, heute ein Museum

Den kommenden Tag müssen sowohl Petar wie auch Hristina arbeiten und wir ziehen alleine los. Das Wetter ist fantastisch, die Stadt hat  uns Hristina bestens gezeigt und so brechen wir zu einem Ausflug auf den Berg Vitosha auf, den wir gestern schon von der Stadt aus sehen konnten.

„Mit DEN Schuhen wollt ihr auf den Berg?“, fragte uns Petar am Abend vorher skeptisch. „Da oben liegt Schnee! Ihr könnt bis zu den Knien einsinken. Mit DEN Schuhen geht das nicht!“ Wir wollen uns nicht abbringen lassen und Petar möchte vermutlich kein Spielverderber sein, also leiht er uns zwei Paar Gamaschen. Bei 23 Grad kommt es mir verrückt vor, sich auf Schnee vorzubereiten. Aber tatsächlich – als wir nach einer längeren Odyssee endlich an der Gondelbahn stehen, die Skifahrer und uns nach oben befördern soll, kann ich es doch langsam glauben.

Oben angekommen liegt tatsächlich Schnee, doch er ist festgetreten und die Gamaschen brauchen wir nicht. Uns auch unsere Schuhe machen ihren Job und wir kommen trockenen Fußes später wieder nach unten. Wir beobachten Schulkinder aus Sofia, die sich von recht ruppigen Skilehrerinnen die Pisten hoch- und runterjagen lassen (müssen). Ein Winterspaziergang mit Blick auf Sofia rundet unseren Ausflug ab und einige Stunden später fahren wir zufrieden mit einer der letzten Gondeln wieder runter ins Tal.

Sebastian vor einer Gondelbahn
Die Gondeln sind schon etwas in die Jahre gekommen, aber sie bringen uns zuverlässig nach oben und auch wieder runter
Eine Gondelbahn
30 Minuten dauert die Fahrt bis auf den Berg. Sehr schnell sind wir nicht unterwegs.
Skipiste
Tatsächlich – hier liegt Schnee! Unten im Tal hatte ich das kaum gedacht.
Vier Kinder auf Skiern im Schnee
Diese vier Zwerge lernen Skifahren.
Sebastian und Leo im Schnee
Doch, unsere Schuhe haben durchgehalten! 🙂
Zwei Personen im Sessellift
Gondelimpressionen – fröhlich…
Ein Mann im Sessellift schlägt die Hände über dem Kopf zusammen
…verzagt…
Zwei Personen in einem Sessellift
…gelassen.
Leo in der Hocke vor einem Schneemann
Und einen Schneemann gibt’s auch, allerdings von mir nur verschönert 🙂

Während der Heimfahrt bekommen wir eine SMS von Hristina: „Habt ihr Hunger? Es gibt viel zu essen.“ Wenn sich das nicht gut anhört! Angekommen zu Hause biegt sich der Tisch unter Gemüsesuppe, mit Käse gefüllten Blätterteigtaschen, Salat, Tomatenpaste, Joghurt aus Schafsmilch, Kirschkuchen und einer Süßspeise (alles selbstgemacht und bio, logo!). Wer soll das alles essen?

Vollgefuttert zeigen wir nach dem Essen endlich unsere beiden kleinen Fotoalben mit Fotos von zu Hause. Die Stimmung ist gelöst, Hristina und Petar sind sehr interessiert. Als alle ihre Fragen beantwortet sind, schauen sie sich kurz an und zücken kurzerhand eines ihrer eigenen Fotoalben. Der Abend endet gemeinsam vor dem PC und auf Google Maps zeigen wir uns gegenseitig unsere Wohnorte, Augsburgs schönen Kuhsee und wie weit die Berge von Augsburg aus weg sind.

Sebastian und Petar an einem Computer
Sebastian und Petar ganz begeistert vor dem PC

Am nächsten Morgen klingelt unser Wecker früh. Wir verlassen mit beiden gemeinsam die Wohnung und machen uns auf den Weg zum Bahnhof. Hristina drückt uns zum Abschied eine riesige Plastiktüte gefüllt mit Teigtaschen, Kuchen, hart gekochten Eiern und weiteren Leckereien in die Hand: Verpflegung für die Zugfahrt! Ich bin sprachlos. Hunger werden wir keinen leiden müssen, aber uns bestimmt ein paar neue Freunde machen können, wenn wir die Leckereien im Zug teilen!

Sofia, Hristina und Petar verlassen wir mit einem fast schon wehmütigen Gefühl. Schön wäre es gewesen, hier noch mehr Zeit zu verbringen. Unser Besuch in Sofia war weit mehr als „nur ok“ und wir freuen uns, dass wir noch ein Weilchen in Bulgarien bleiben werden!

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5 Comments

    1. Hola Laura! 🙂 Dankeschön!! Das freut uns, dass ihr unseren Blog verfolgt! 🙂 Muchos saludos y abrazos desde Turquía!!

  1. Dankbar für die Erfahrung! Wie ich sehe, hat Bulgarien schöne Eindrücke gemacht. Möchte auch dorthin in die Abireise, um die Spuren der Vergangenheit von Sofja näher kennenzulernen, bin je Historiker. Dazu kann man für ein paar Tage auch am Goldstrand die Kühle des Meeres genießen, warum denn nicht?!

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